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Wenn fachlich Unberufene in DaF das Sagen haben...
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 19. Februar 2017 15:42

Den obigen Post von C.T. kann man als eine Art Re-Inforcement für lernende DaF-Lehrer auffassen, wie man von grammatisch-linguistischer Theorie als einer Art Grundlage zur Umsetzung in eine sinnvolle Unterrichtspraxis kommt.
In dem besagten Posting wurden ja drei Schritte exemplarisch dargestellt.

Ich möchte in diesem Beitrag dieses Drei-Schritte-Schema noch etwas verallgemeinern und darstellen, wie man nach der Erkenntnis, warum und wie Grammatik und Linguistik mit methodischen Erwägungen zur Umsetzung in der Unterrichtspraxis zusammengehören, allgemein umgehen kann.

Zuvor aber: Was ist Grammatik im Verhältnis zur Linguistik? Beides ist nämlich nicht unbedingt das Gleiche.
a) Grammatik bezieht sich auf die sprachspezifischen Regeln einer Sprache wie dem Deutschen, dem Englischen, Chinesischen usw., deren Regelwerk den Lernern zu vermitteln ist, damit sie verständlich kommunizieren. Wie das Aussprachetraining und die Kenntnis von Vokabeln stellt auch das grammatische Regelwerk das Instrumentarium dar, auf denen die vier sprachlichen Fertigkeiten Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben aufbauen.
b) Linguistik hingegen bezieht sich auf die Grundlagen, wie Sprache allgemein arbeitet, strukturiert ist und funktioniert. Im Idealfall verarbeitet sie sprachübergreifende, theoretisch alle Sprachen dieser Welt betreffende Erkenntnisse und Gesetzmäßigkeiten, von denen solche zur sprachspezifischen Grammatik wie dem Deutschen nur einen kleinen Teil an Fragestellungen ausmachen. Die Linguistik stellt z. B. das deskriptive Handwerkszeug für sprachspezifische Beschreibungen eines bestimmten grammatischen Regelwerks wie z. B. von unbestimmten/bestimmten Artikel, Relativsätzen im Deutschen und anderen Sprachen bereit.
Beides muss man also strikt auseinanderhalten, und beide Bereiche müssen obligatorischer Bestandteil einer DaF-Lehrer-Ausbildung sein neben fremdsprachenpädagogischen Studienanteilen.

Nun zur der bereits angekündigten Verallgemeinerung der drei Schritte:
1. Der DaF-Lehrer wird in seinem Kurs ein bestimmtes Thema (z. B. sich vorstellen) behandeln, das für heute im Lehrplan vorgesehen ist. Bei der Vorbereitung schaut er sich die im Lehrbuch angegebenen Mustersätze an, leitet daraus die grammatischen Themen ab und liest zu diesen Themen das beschriebene Regelwerk in einer Grammatik wie der von Helbig nach, wenn er sich da unsicher sein sollte (sprachspezifisches grammatisches Regelwerk des Deutschen).
2. Für die Frage, wie er das unterrichtspraktisch vermittelt, muss er nun einige Vorüberlegungen anstellen, die zur Linguistik gehören: Welcher (linguistische) Deskriptionsansatz liegt diesem Regelwerk zugrunde, und ist er geeignet für die Lerner meiner Gruppe? Ich kann z. B. entweder ein traditionell-grammatisches Deskriptionsmodell benutzen, wonach das Subjekt vor oder nach einer finiten Verbform im Satz stehen kann. Oder ich kann valenztheoretisch motiviert vorgehen und stattdessen von 1., 2. und ggf. 3 Ergänzung (Aktant) sprechen. muss dann aber von der Linguistik her wissen, dass in einer valenztheoretisch motivierten Beschreibung das Subjekt keine Sonderstellung wie im traditionell-grammatischen Ansatz mehr einnimmt, und warum und inwieweit gerade das dem Lernprozess der Lerner in meiner Gruppe besonders förderlich sein könnte. Ich muss dabei auch zwischen verschiedenen linguistischen Varietäten unterscheiden können, z. B. zwischen Schwyzerdüütsch „I bi gsi“ für Hochdeutsch„ich bin gewesen“ u.a. soziolinguistisch bzw. regional bedingte Varietätenparameter (Soziolinguistik u.Ä.).
3. Danach überlege ich mir die Schritte für die unterrichtspraktische Umsetzung. Dabei gehe ich in erster Linie von den lernerspezifischen Bedürfnissen meiner Lernergruppe aus. Solche Überlegungen kann ich aber nicht fundiert anstellen, wenn ich die beiden vorherigen Schritte nicht gründlich abgearbeitet habe. Denn: die ungefähr etwas über 100 Jahre alte fremdsprachenmethodische Diskussion ist immer ganz eng in Anlehnung an die jeweiligen linguistischen Richtungen und Ansätze, die zu einem bestimmten Zeitpunkt populär waren, erfolgt. M. AKW.: Ein fremdsprachenmethodischer Ansatz wie z. B. der heute allgemein verbreitete kommunikative Ansatz ist historisch immer das Ergebnis einer bestimmten linguistischen Ausrichtung in der Beschreibung von Sprache. Im Falle des kommunikativen Ansatzes war es vor allem die Sprechakttheorie von Searle et al. sowie später darauf aufbauende linguistische Ausrichtungen, die etwa ab Ende der 1970er Jahre für die Fremdsprachenmethodik allgemein führend wurde. Solche Ansätze werden, da oft „einseitig“, immer wieder abgelöst durch andere, die an Popularität gewinnen. Dabei ist es immer so, dass die linguistische Ausrichtung immer vorangeht und dann die entsprechende fremdsprachenmethodische erst darauf folgt.

Was sehen wir daraus? Hier die Antworten :
1. „Theoriefreien“ DaF-Unterricht und entsprechende Lehrbücher kann es schon auf Grund des unter 3 Gesagten nicht geben.
2. „Theoriefreie“ DaF-Leerer-Ausbildung ohne die erforderliche Verzahnung von Grammatik, Linguistik und fremdsprachenpädagogischen Ansätzen in den Inhalten ist sachlich verkehrt und unvollständig, bedeutet Niveauabsenkung und führt zur masseweisen Heranzüchtung von „Leer“- statt „Lehrkräften“.
3. Diese Niveauabsenkung ist ideologisch bedingt und dient allein den Interessen derer, die eine solche Ideologie vertreten (z. B. Klitschen und ihre Interessenverbände, institutionelle DaF-Monopole, usw.).

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 20. Februar 2017 11:51

Fortsetzung vom 18.Februar. „Passivkonstruktionen“, Übungsanregungen

Zur Abschreckung aus aktuellen DaF-Lehrbüchern zufällig Gefundenes:

(1) (Aus: Expertenantwort von XXYY, Community-Experte für Grammatik, 27.08.2011)
- Das Passiv nennt man im Deutschen auch Leideform. Das Subjekt 'erleidet' etwas, es wird etwas mit dem Subjekt gemacht/getan.
- Im Aktiv-Satz dagegen tut/macht das Subjekt aktiv etwas.
- Im Passiv wird das Subjekt (Wer/Was?) des Aktivsatzes zum Objekt des Passivsatzes und das Objekt (Wen/Was/Wem?) des Aktivsatzes zum Subjekt des Passivsatzes.
Die E-mails wurden von mir auf diesem Computer geschrieben.

(2) (Aus: mein deutschbuch.de)
Niveau B1 Übungen zum Passiv (Vorgangspassiv)
A) Passiv bilden. Setzen Sie die folgenden Aktivsätze ins Passiv.Bilden Sie Sätze mit Agens.
01. Simon liebt Michaela
02. Jens bringt die Bücher zurück
03. etc.

(3) (Aus: [www.interdeutsch.de])
Welcher Passivsatz ist die richtige Entsprechung zur Aktiv-Vorgabe?
Am Flughafen baut die Stadt eine neue Startbahn
(A) Die Stadt wird am Flughafen eine neue Startbahn gebaut
(B) Am Flughafen wird eine neue Startbahn gebaut
(C) Am Flughafen wird eine neue Startbahn gebauen
i. und so weiter

Eine Querbeetrecherche ergibt, daß derartige Übungen noch sehr populär sind. Die "Kommunikative Wende" der Siebziger nach Schulz-Griesbach ist unbemerkt vorbeigegangen. Weiteres dürfte sich erübrigen...

Dagegen:
Wer´s besser machen will,
- sollte den bereits zitierten Aufsatz HELBIGS lesen, der das erforderliche Grundwissen eines ernstzunehmenden DaF Unterrichtenden enthält, aber natürlich nicht für die Lernenden gedacht ist, wie überhaupt theoretische ("grammatische") Erläuterungen höchstens zum Abschluß des Übungsvorgangs geliefert werden sollten,
- sollte sich klar machen, wann z.B. das werden-Passiv angebracht ist und wie er die entsprechenden Kommunikationssituationen als freie Übungen benutzen kann.

Übungsbeispiele:
In einer heterogenen Gruppe: Wie wird Couscous zubereitet ? (ergibt eine lebhafte Diskussion zwischen arabischen Lernenden aus Ost und West), Wie fährt man mit dem Auto an einer Steigung an? (dazu benötigt man den Wortschatz "zuerst", "dann", "gleichzeitig","dabei" etc). Abhängig von den Alltagserfahrungen der Lernenden finden sich genügend Beispiele für lebhafte und effektive Übungskommunikationen.
Hinführend kann man zuerst mit dem unbestimmten MAN beginnen...

Der Übergang vom Geschehens-(Vorgangs-) zum Resultats- (Zustands-) Passiv läßt sich ebenso mit alltäglichen Ausdrucksnotwendigkeiten üben - mit Fortgeschritteneren dann auch die übrigen dem Passiv ähnlichen Konstruktionen
(bleiben, gehören).

C.T.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: DaF2000 ()
Datum: 20. Februar 2017 12:03

Zwei Fragen zu den sehr langen Ausführungen. Glaubt hier wirklich jeder, dass die aktuelle Theorie der Weisheit letzter Schluss ist? Es gibt Lerner, die mit den ganz alten Kisten sehr zufrieden sind, immer noch so lernen möchten und sogar Erfolge damit erzielen. Die wichtigste Info zum Zustandspassiv ist doch die, wie unbedeutend diese Form im Deutschen ist. Oder?

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 20. Februar 2017 14:14

Ja und Nein. Ein DaF-Lehrer muss sich auf seine Lerner einstellen können und braucht dafür eine vielseitige Ausbildung, um mit allen möglichen Anforderungen und Erwartungen in seiner späteren Berufsprfaxis zurechtzukommen. "Theoriefrei" kann eine solche DaF-Lehrer-Ausbildung niemals sein, und die Lehrbücher auch nicht.
Egal, ob man sich den hier diskutierten Theorien anschließt oder nicht und stattdessen lieber ältere Hüte bevorzugt: es gibt bestikmmte nachvollzhiehbare Standards, an die sich alle Ausbildungsprogramme für DaF-Lehrer halten sollten.
Wenn nicht, wären es eben nur Programme für DaF-Leerer, die von Leer-Ausbildungsträgern veranstaltet werden. [Von der Redaktion gelöscht. Bitte bleiben Sie bei Ihren Ausführungen sachlich.]

Zitat

Zwei Fragen zu den sehr langen Ausführungen. Glaubt hier wirklich jeder, dass die aktuelle Theorie der Weisheit letzter Schluss ist? Es gibt Lerner, die mit den ganz alten Kisten sehr zufrieden sind, immer noch so lernen möchten und sogar Erfolge damit erzielen. Die wichtigste Info zum Zustandspassiv ist doch die, wie unbedeutend diese Form im Deutschen ist. Oder?



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 21.02.17 11:30.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 21. Februar 2017 11:47

ad DaF2000

Der Einwand paßt in den seit den Achtzigern grassierenden Überdruß an "Theorie", der sich auch und besonders fatal in der Sprach- und Sprachunterrichtswissenschaft breit gemacht hat. Das trifft insbesondere auf den DaF-Bereich zu, wo ernstzunehmende theoretische Überlegungen vor allem im damaligen Leipziger Herder-Institut angestellt wurden - im Gegensatz zum "praktisch orientierten" westdeutschen Monopolinstitut. Aber das ist Geschichte...

Zur Sache,
Zitat: Es gibt Lerner, die (...) sogar Erfolge damit erzielen, Ja, man muß nur sogar mit trotzdem ersetzen !
Das heißt im Klartext, sie lernen Deutsch, obwohl sie´s im Unterricht nicht lernen, denn dort lernen sie eine mysteriöse Terminologie und ebenso mysteriöse Manipulationen (AkkObj zum Subjekt u.ä.- aber wozu?) ohne Bezug zu Sprechsituationen und zu Erkenntnissen der Methodik und Didaktik.

Die wichtigste Info zum Zustandspassiv ist doch die, wie unbedeutend diese Form im Deutschen ist. Oder?
Würde DAF2000 sich auf sein sicher vorhandenes Hintergrundwissen besinnen, wüßte er, daß gerade das Resultat- oder Zustandpassiv (sein+Part.II) eine für viele andere hochfrequente wichtige Struktur ist und daher im kommunikativen DaF-Unterricht eine zentrale Bedeutung hat. Als Hinweis:
Der Radfahrer ist verletzt - der verletzte Radfahrer - der Verletzte. Wenn Sie dazu noch Orts-, Zeit- und Kausalangaben anfügen, sind Sie (im Unterricht) auf dem direkten Weg zu komplexen Nominalkonstruktionen und einigem anderen mehr.

Was ist daran "Theorie" ?
C.T.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: DaF2000 ()
Datum: 21. Februar 2017 12:22

Mit Theorie meinte ich Ansätze wie die kommunikative Methode.

Zitat
C.T.
Ja, man muß nur sogar mit trotzdem ersetzen !

Sehe ich anders. Was ist mit Lernern, für die Deutsch die 3. Fremdsprache ist und die die anderen gerade so gelernt haben? Oder auch ihre Muttersprache, wie etwa viele Menschen in Russland? Manche Lerner brauchen Bilder, manche brauchen Tabellen, manche brauchen altbackene Grammatik, für manche spielt die Kommunikation eine große Rolle. Ich hatte mal einen Philosophen als Schüler, der sich ein hervorragendes Deutsch erarbeitet hat, allein mit dem Lesen und Übersetzen von Kant. Die Sprache war zwar sehr altmodisch, aber fast fehlerfrei. Mit mir hat er sich dann Alltagsdeutsch draufgeschafft. Meine afrikanischen Lerner haben oft eine bewundernswerte Konzentrationsspanne und die Fähigkeit, übers Hören sehr viel mehr mitzunehmen als ihre europäischen oder amerikanischen Mitschüler.

Ich passe also mich und meinen Unterricht an meine jeweiligen Schüler an.

Zitat
C.T.
Würde DAF2000 sich auf sein sicher vorhandenes Hintergrundwissen besinnen, wüßte er, daß gerade das Resultat- oder Zustandpassiv (sein+Part.II) eine für viele andere hochfrequente wichtige Struktur ist und daher im kommunikativen DaF-Unterricht eine zentrale Bedeutung hat.

Um mein Hintergrundwissen muss man sich keine Gedanken machen. Nur empfinde ich wie viele Deutsche das sogenannte Zustandspassiv nicht als Passivform, wie übrigens auch viele Schüler mit verschiedenen Muttersprachen. Wenn ich Sätze wie das Beispiel als Passiv verkaufe, verwirre ich nur. Wenn ich dann noch mit der Ellipsentheorie komme, hilft das meinen Schülern noch weniger.

die beleuchtete Straße
Die Straße wird/ist beleuchtet.

die bewunderte Frau
Die Frau wird/ist bewundert.

das verliebte Mädchen
Das Mädchen verliebt sich.
Das Mädchen ist/wird verliebt.

Beispiele von Helbig, wenn ich mich recht erinnere. Insofern verkaufe ich die Struktur als Adjektivphrase, um die "mysteriöse Terminologie und ebenso mysteriöse Manipulationen" zu vermeiden.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 21. Februar 2017 17:09

zum Beitrag von DAF2000:

Ausnahmsweise völlig d´accord.

Es erscheint wichtig, zum Abschluß der abgelaufenen Diskussion über "Grammatik" noch einmal zu unterstreichen, daß es um das beim Unterrichtenden unbedingt vorauszusetzende theoretische Wissen ging (wobei Grammatik, als Syntax verstanden, nur ein Teilbereich ist). Dieses Wissen befähigt im Interesse der Lernenden den kürzesten und effizientesten Lernweg, die Progression, zu planen.

Was DAF2000 einleitend zutreffend skizziert hat, ist die Anwendung in der Realität mit einer meistens heterogenen Lerngruppe und einer Bandbreite vom Analphabeten bis zum Kantleser. Der Unterrichtende wählt, wie es DAF2000 skizziert hat, aus seinem theoretischen Wissen das ad hoc Passendste aus - und sei es im Einzelfalle der Schulz-Griesbach von 1956.
Vom theoretischen Wissen des Unterrichtenden und z.B. von der konfusen grammatischen Terminologie kekommen diese Lernenden in einem wirklich kommunikativen Unterricht nichts mit.

Im Umkehrschluß jedoch von der Anwendungsebene aus aber "die Theorie" für obsolet zu erklären (dahinter steckt unausgesprochen die Assoziation "abgehoben", "elitär", "arrogant"!), ist populistisch und vor allem bequem. Dafür erhält man stets Beifall.

Noch ein Wort zum "Resultatpassiv/ Zustandspassiv". Das Partizip II unter Adjektiv zu subsumieren, kann u.U. sinnvoll sein, wenn man dabei den Bedeutungsunterschied nicht vergißt:
(1) Der Brief ist geöffnet
(2)Der Brief ist offen

ist, wie jeder einsieht, in der Bedeutung nicht gleich (dafür gibt es ein linguistisches Gesetz), und ebenso sind
(3)Ein geöffneter Brief
(4) Ein offener Brief

ebenfalls verschieden, indem die Beispiele (1) und (3) das mitgedachte Passiv Perfekt implizieren.

Und "Ein Offener Brief" ist bekanntlich wieder etwas anderes...
C.T.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 23. Februar 2017 03:10

Ja, das kenne ich, als ich in den 1970er Jahren an FU und TU Berlin Linguistik studierte und dann nach einer Unterbrechung zwischen 1983-1986 promoviert hatte (damals mit dem ersten möglichen Studienabschluss Magister = M.A.).

Ich war immer begeistert von meinem Studienfach und hatte deshalb auch immer recht gute Studienleistungen vorzuweisen. Von anderen Kommilitonen, die zwar Germanistik oder Anglistik studierten, aber keine Linguistik im Hauptfach wie ich, haben ihre Scheine im Pflichtteil Linguistik dagegen oft seufzend gemacht. Ich gebe zu, dass ich meinem inzwischen verstorbenen Bruder, der im Hauptfach Germanistik mit Schwerpunkt Literatur (und der später Buchhändler in Berlin wurde) studiert hatte, mal eine Seminararbeit in Linguistik geschrieben hatte, für die er dann eine gute Note bekam. Ich wurde dann mit einer Einladung in ein China-Restaurant "belohnt". Linguistik war nun mal nicht sein Ding.

Nach dieser Anekdote - ja, es scheint auch heute noch so zu sein, dass viele mit Linguistik nicht viel anfangen können. Linguistik ist aber als Hintegrundwissen für DaF-Lehrer unabdingbar. Schon deswegen, weil sich, wie bereits in einem früheren Post oben gesagt, fremdsprachenmethodische Ansätze aus bestimmten linguistischen Richtungen heraus entwickeln. Wenn man die jeweiligen linguistischen Grundlagen nicht kennt, versteht man auch den Hintergrund der jeweiligen methodischen Ansätze nicht.


Zitat

Der Einwand paßt in den seit den Achtzigern grassierenden Überdruß an "Theorie", der sich auch und besonders fatal in der Sprach- und Sprachunterrichtswissenschaft breit gemacht hat.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 04. März 2017 16:44

ad DaF2000

Ihre Bemerkung:
"Wenn ich Sätze wie das Beispiel als Passiv verkaufe, verwirre ich nur."

Das berührt den Kern meiner bisherigen Bemerkungen zum aktuellen kommunikativen Unterricht und der Bedeutung des dahinter erforderlichen theoretischen Wissens.

Warum und wozu glauben Sie,den Lernenden (falls diese nicht bereits fundiertes grammatisches Vorwissen mitbringen) einen allgemein verständlichen, strukturell logischen Bedeutungskomplex als Passiv verkaufen zu müssen ?
Nur weil´s im Lehrbuch steht?

In meiner Erfahrung sind unvorbelastete Anfänger nach ca. 1oo Unterrichtsstunden bereit, eine logisch Abfolge von HANDLUNG - VORGANG - RESULTAT - KONTINUITÄT anhand alltäglichder Beispiele zu verstehen und in einem lebhaften Unterrciht,zu dem alle mit eigenen Beispielen beitragen, dies anzuwenden. Ob Sie das anschließend oder (o Schreck, vorher) als Passiv annoncieren und "verkaufen", ist zusätzlicher Ballast.

C.T.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 05. März 2017 05:40

Kein ernstzunehmendes Sprachlehrbuch wird ohne ein gewisses Minimum an grammatischer Fachterminologie auskommen können, wennn es grammatische Strukturen mit abdecken muss.

In denn letzten 50 Jahren hat sich die Struktur der Kursteilnehmer in DaF doch erheblich verändert: Waren es in den 1950er-1970er Jahren vor allem bildungsnahe Schichten an Ausländern, die Deutsch als Fremdsprache erlernten, sind es seit den 1980er Jahren zunehmend auch bildungsferne Schichten gewesen, die Deutsch lernten.

Während man bei bildungsnahen Schichten eine gewisse Kenntnis grammatischer Fachterminologie voraussetzen konnte, war dies bei eher bildungsfernen Schichten, die z.B. Alphabetisierungskurse besuchen, nicht mehr der Fall. Erst seitdem man es zunehmend mit bildungsfernenn Schichten bzw. mit auch diesbezüglich gemischten Lernergruppen zu tun hatte, haben wohl auch die einschlägigenn DaF-Lehrbücher versucht, dem Rechnung zu tragen, indem sie "theoriefrei" geworden sind.

Eine reine Fehlentwicklung.


Zitat

Warum und wozu glauben Sie,den Lernenden (falls diese nicht bereits fundiertes grammatisches Vorwissen mitbringen) einen allgemein verständlichen, strukturell logischen Bedeutungskomplex als Passiv verkaufen zu müssen ?
Nur weil´s im Lehrbuch steht?

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 06. März 2017 16:54

Liest yizzicco () noch mit ?

Zu bingo´s Beitrag:
Selbstverständlich braucht ein Sprachlehrbuch ein grammatisches Gerippe und vieles Andere.
In Argumentationen sind aber auseinanderzuhalten

(a) was der DaF-Profi wissen muß

(b) was er im gesteuerten kommunikativen fertigkeitsorientierten Unterricht praktiziert und wie

(c) was er den Lernenden anschließend als Systematik mitgibt.

Kurz: (c) sollte nicht an Stelle von (b) treten!

Falls yizzicco () noch mitliest, folgen noch ein paar Beispiele für (b)...

C.T.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 07. März 2017 06:16

@C.T.:

(b) und (c) habe ich implizit vorausgesetzt, also Zustimmung.

Andererseits frage ich mich, was u.a. Lehr- oder Leerbücher für DaF eigentlich bewirken wollen, wenn deren Autoren meinen, ganz ohne grammatische Fachbegriffe auskommen zu können und dafür den Lernenden lieber selber alles selbst finden zu lassen.

Wenn da auch noch eine DaF-Leerer-Ausbildung bei privaten Trägern entsprechend verläuft, dann ist eben alles "theoriefrei" und folglich leer statt lehr-.

Im Ergebnis haben wir dann DaF-Leerkräfte, die ein Substantiv mit einem Nomen gleichsetzen (obwohl es da schon Unterschiede gibt) und sich auch nicht zu schade sind, sich für einen Hungerlohn an DaF-Klitschen und von sonstigen Monopolträgern im Bereich DaF ausbeuten zu lassen. Ihnen bleibt ja auch nichts Anderes bei ihrer mangelhaften "Ausbildung" übrig.

DaF ist von seiner Natur her ein interdisziplinäres Fach, in dem Linguistik, "Angewandte" Grammatik und DaF-Methodik/Didaktik notwendigerweise eng zusammengehören. Alles Andere wäre Humbug - und Anbieter, die eine davon abweichende DaF-Le(e)hrer-"Ausbildung" für teures Geld offerieren, wären dann als Scharlatane anzusehen.

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: DaF2000 ()
Datum: 07. März 2017 08:56

Zitat
C.T.
Warum und wozu glauben Sie,den Lernenden (falls diese nicht bereits fundiertes grammatisches Vorwissen mitbringen) einen allgemein verständlichen, strukturell logischen Bedeutungskomplex als Passiv verkaufen zu müssen ?
Nur weil´s im Lehrbuch steht?

Das mache ich ja gerade nicht.

Zitat
C.T.
In meiner Erfahrung sind unvorbelastete Anfänger nach ca. 1oo Unterrichtsstunden bereit, eine logisch Abfolge von HANDLUNG - VORGANG - RESULTAT - KONTINUITÄT anhand alltäglichder Beispiele zu verstehen und in einem lebhaften Unterrciht,zu dem alle mit eigenen Beispielen beitragen, dies anzuwenden.

Diesen Zusammenhang sehe ich beim sog. Zustandspassiv in vielen Fällen ja gerade nicht. In anderen Fällen sehr wohl. Mit den Punkten a, b und c liegen wir ja vollkommen auf einer Linie.

Zitat
Bingo
Andererseits frage ich mich, was u.a. Lehr- oder Leerbücher für DaF eigentlich bewirken wollen, wenn deren Autoren meinen, ganz ohne grammatische Fachbegriffe auskommen zu können und dafür den Lernenden lieber selber alles selbst finden zu lassen.

Da mangelt es eben schon an a.

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Zwischenbilanz
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 09. März 2017 14:24

In diesem Thread geht es im Grunde genommen (wie in den beiden anderen Threads zur Grammatik und seiner Rolle in DaF auch) immer wieder um das Verhältnis von "Angewandter" Grammatik. Linguistik und DaF-Methodik/Didaktik. Einige DaF-"Lehrer" stehen mit den ersten beiden Gebieten auf Kriegsfuß, weil sie sich dort überhaupt nicht auskennen und darin auch nie ausgebildet wurden und allenfalls, wenn es hochkommt, eine Wischiwaschi-Schmalspur-Ausbildung in DaF-Methodik/Didaktik durch irgendeinen dubiosen Klitschenträger absolviert haben.

Ich wage jetzt mal eine Definition, die die Spreu vom Weizen im DaF-Bereich trennt:

a) DaF- Lehrkräfte, -Lehrbücher und - Lehrerausbildung: solche, die die drei Bereiche von von Angewandter Grammatik, Linguistik und Methodik/Didaktik in ghebührendem Verhältnis zueinander berpcksichtigen, keine theoriefreien Leerbücher verfassen/benutzen und standardgemäß an einer Uni in DaF ausgebildet worden sind.

b) DaF-Leerkräfte, - Leerbücher und Leererausbildung: alles und solche, wo das in a) Gesagte eindeutig nicht zutrifft.

Ergo:
1. DaF nach a) zeichnet sich durch seriöse wissenschaftliche Fundierung und entspricht dem üblichen universitären Standard, der auch in der Praxis erforderlich ist und sich fruchtbar auswirkt.

2. DaF nach b) ist der leider zwischenzeitlich sehr verbreitete Versuch, seriöses DaF nach a) durch ideologisches, pseudo-wissenschaftliches Geschwafel vor allem in den fremdsprachenpädagogischen Bereichen zu ersetzen, wobei sich fachlich nicht zureichend ausgebildete Quereinsteiger in DaF hereindrängen, den Lehrkräften nach a) die Preise kaputtmachen und selbständig erarbeitete Portfolios mit unterrichtspraktischen Entwürfen nicht gebacken bekommen und dafür lieber bei anderen gegen Bezahlung abschreiben und ansonstenn nicht bis zehn zählen können. Theoriefreie Leerbücher kommen diesen sehr gelegen, und solche Leerkräfte tummeln sich dann in dem sehr halbseidenen Bereich von Klitschen, deren Betreiber fachlich unvorbelastet sind und ihr fragwürdiges Etablissement etwas hochtrabend als "Sprach"schule"" bezeichnen.

Ein solches DaF nach b) sollte man also meiden. Es ist der absolute (unseriöse) Sumpf.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 09.03.17 14:30.

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Re: Zwischenbilanz
geschrieben von: Charles Trojan ()
Datum: 10. März 2017 10:56

Erik Orsenna: «La grammaire est un royaume enchanté»

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Re: Vorwegnehmender Gebrauch / Boomerang-Modell: Was eignet sich dafür?
geschrieben von: Bingo ()
Datum: 11. März 2017 12:05

Oh nein, Grammatik hat ebenso wenig wie Linguistik etwas Verzaubertes oder Mirakulöses an sich.

Grammatik in einem eher traditionellen Sinne erfordert zwar eine gewisse Fähigkeit zur Abstraktion, die Kenntnis ihrer Regeln und gilt oft als trocken und langweilig.

Die moderne Linguistik, so wie ich sie seinerzeit studiert hatte, übt eine grundsätzliche Kritik an der traditionbellen Grammatik z.B. mit folgenden Aussagen:

1. Sie orientiert sich hauptsächlich an der Struktur der klassischen Sprachen Griechisch und Latein, und ihr System wird mittlerweile auch auf solche Sprachen wie z.B. Chinesisch übertragen, die in diesem Rahmen gar nicht beschrieben werden können, weil sie so ganz anders strukturiert sind als z.B. Griechisch, Latein oder Deutsch (indoeuropäisch zentrierte Grammatik(be)schreibung).

2. Traditionelle Grammatik orientiert sich an den Normen der klassischen Hochliteratur aus früherer Zeit und bildet die tatsächlich gesprochene Hochsprache daher nur ungenügend ab.

3. Sie ist ehr präskriptiv (und gibt damit vor, was "gutes Deutsch" von der Struktur her ist) statt empirisch (beschreibt lediglich das, was von der Sprachgemeinsachaft mehrheitlich tatsächlich verwendet wird).

4. Sie berücksichtigbt weder regionale noch soziale Varietäten einer Sprache wie z. B. dem Deutschen.

5. Sie stellt allein auf die Form ab und lässt die Bedeutung außen vor.
usw. usw.

Eine linguistisch fundierte Grammatik geht dementsprechend anders vor als traditionelled Grammatik. Hier muss man zwar auch wie bei der traditionellen Grammatik abstrahieren, ikm Gegensatz zu dieser ist aber eine linguistisch fundierte Grammatik empirisch orientiert und beschreibt ohne jegliche weitere Wertung, was tatsächlich gesprochen/geschrieben wird. Da wird auch so Manches berücksichtigt, was die traditionelle Grammatik "traditionell" außen vor lässt.

Linguistisch fundierte Grammatik ist also nicht nur abstrahierend und empirisch orientiert, sondern erfordert außerdem gewisse mathematische Fertigkeiten. Wenn man z. B. dem valenztheoretischen Ansdatz für gewisse Teilbereiche der deutschen Grammatik folgt, kann man z.B. die Valenz (Wertigkeit) eines Verbs wie geben mit einer Valenz von n=3 im Rahmen einer mathematischen Funktion beschrieben, in der die Aktanten Argumente von geben mit n=3 (Subjekt und zwei Objekten) sind. Die Semantik von Kopulasätzen wie

(1) Chinesen sind Asiaten

lässt sich mengentheoretisch so beschreiben, indem man sagt, dass die Menge aller Chinesen in der Menge aller Asiaten enthalten ist, aber nicht umgekehrt (denn die Menge aller Chinesen ist nun mal kleiner als die Menge aller Asiaten) [ Über solch ein "erhebendes" Thema hatte ich seinerzeit meine Diss. von etwas über 400 Seiten geschrieben und mit mathematischen Formeln und Regelsätzen auf sprachliches Material bezogen nicht gespart. Angeregt dazu wurde ich von einem meiner früheren Doktorväter Hans-Heinrich Lieb (Germanistische Linguistik, FU Berlin), den ich allerdings diesbezüglich in meiener Diss. nicht "übertroffen" hatte. Nun ja, Mathematikr gelten of als "langweilig"....hahahahhahaha].

Praktiker mögen dieses Beispiel, das eigentlich zur Referenzsemantik gehört, in der die Funktion der Artikel eine entscheidende Rolle spielt, als praxisuntaugliche Spielerei ansehen. Dabei dürften sie aber übersehen, dass man nach diesem Modell eine Erkllärung für die sekundäre Funktion von Artikeln den Kursteilnehmern liefern kann, wenn diese danach fragen. In China und Korea bin ich solchen Fragen meiner Studenten immer wieder begegnet....

Lange Rede kurzer Sinn: An Grammatik ist nichts Verzaubertes, und Erik Sonna düfte da nicht Recht haben, wenn man voraussetzt, dass diejenigen, die im UJnterricht auch mit Themen der Grammatik umgehen müssen, dafür hinreichend ausgebildet sind. Das ist eigentlich alles.


Zitat

«La grammaire est un royaume enchanté»



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 11.03.17 12:30.

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