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Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 08. Dezember 2021 14:49

Hallo in Runde!

Bei dem Satz

"Er sah sie frohen Herzens an."

ist "frohen Herzens" ein zulässiger adverbialer Genitiv.

Ein solcher ist aber wohl nicht per se möglich. Beispiele:

#"Er sah sie grimmigen Blickes an."#
Statt dessen sollte es doch, ohne adverbialen Genitiv, "... mit grimmigem Blick ..." heißen.
Oder:
#"Sie geht großer Vorsicht über die Straße."#
Richtig: "... mit großer Vorsicht..."

Gibt es ein formales Kriterium dafür, wann ein adverbialer Genitiv zulässig ist?

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: Gernot Back ()
Datum: 08. Dezember 2021 15:15

philosophus dubitans schrieb:
-------------------------------------------------------
> #"Sie geht großer Vorsicht über die Straße."#

Der Genitiv ist im Femininum nicht eindeutig erkennbar, …

> Richtig: "... mit großer Vorsicht..."

… deshalb bedarf es wohl - anders als bei deinen Beispielen im Neutrum und Maskulinum - eines präpositionalen Ausdrucks statt des Genitivs.

> Gibt es ein formales Kriterium dafür, wann ein
> adverbialer Genitiv zulässig ist?



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 08.12.21 15:16.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: Milorad Gavrilovic ()
Datum: 10. Dezember 2021 06:23

1. Migration

Niemand geht frohen Herzens

Adverbiale Genitive sind nicht mehr produktiv. Sie kommen nur noch als feste Wortverbindungen vor.


2. Mit frohem Herzen will ich singen

Kirchenchor Apetlon



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 10.12.21 06:30.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 12. Dezember 2021 18:19

Gernot Back schrieb:
-------------------------------------------------------
> philosophus dubitans schrieb:
> -------------------------------------------------------
> > #"Sie geht großer Vorsicht über die Straße."#
>
> Der Genitiv ist im Femininum nicht eindeutig
> erkennbar, …
>
> > Richtig: "... mit großer Vorsicht..."
>
> … deshalb bedarf es wohl - anders als bei deinen
> Beispielen im Neutrum und Maskulinum - eines
> präpositionalen Ausdrucks statt des Genitivs.

Bei
#"Er sah sie grimmigen Blickes an."#
ist
"grimmigen Blickes"
jedoch eindeutig ein Genitiv. Allerdings bin ich mir bei dieser Formulierung nicht so sicher, dass sie grammatisch falsch ist. Vielleicht ist sie auch einfach nur sehr ungewöhnlich.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 16. Dezember 2021 12:36

Bei

"er ist trauriger Stimmung"

ist die Genitivform "trauriger Stimmung" gleich der Dativform.
(Man konstruiere z.B. den Satz "er begegnet trauriger Stimmung".)

Dass die Genitivform keine Formgleichheit mit anderen Kasusformen aufweist ist also nicht nötig.

Warum ist also nun

# "sie geht großer Vorsicht über die Straße" #

nicht möglich, aber

"er ist trauriger Stimmung"

durchaus?

Die Idee von Milorad Gavrilovic, dass nur traditionell übliche adverbiale Genitive als grammatisch zulässig angesehen werden, finde ich übrigens nicht überzeugend, denn es gibt generell Formulierungen, die der Muttersprachler normalerweise als unüblich, schrullig und vielleicht auch unangemessen empfindet, ohne sie eigentlich als grammatisch falsch anzusehen.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: Redeker, Bangkok ()
Datum: 16. Dezember 2021 18:51

Des Abends wünsche ich gerne "Guten Abend",

kennen Sie die Arbeit von Karin Pittner, Ist der Dativ dem Genitiv sein Tod? – Funktionen und Konkurrenzformen von Genitiv-NPs im heutigen Deutsch?


Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 17. Dezember 2021 16:59

Lieber Herr Redeker,

vielen Dank für den Link zu dem Artikel von Frau Pittner! Ich habe diesen heute gelesen und meine auch, ihn weitgehend verstanden zu haben. Ich fand ihn interessant und teilweise ziemlich subtil (ich denke daran, wie Frau Pittner von den adverbialen Genitiven noch einmal freie prädikative unterscheidet). Nichtsdestotrotz sind solche Untersuchungen für die Vorbereitungen zum DaF-Unterricht leider nur recht begrenzt hilfreich, da es für die Schüler weniger darum geht, was wie oft vorkommt, sondern darum, was grammatisch zulässig ist und was nicht.

So versuche ich mich denn darin, hier derartige Kriterien selbst aufzustellen:

1) Adverbiale Genitive sind zulässig, wenn die Genitivform keine Formgleichheit mit anderen Kasus aufweist. (Idee von Hr. Back (s.o.))

2) Nach den kopulativen Verben (sein, bleiben, werden) sind Genitive als prädikative Qualitätsangaben zulässig (wobei ich mentale Zustände unter Qualitäten subsumiere) (Beispiel: "Ich bin guter Laune.") sowie als Possessivangaben (welche allerdings altertümlich klingen) (Bsp.: "Bist du des Teufels?")


3) Prädikative Dative oder Akkusative sind hingegen nach den kopulativen Verben nicht direkt möglich. (Bsp.: #"Er ist frohem Mut."#)
Statt dessen bedarf es eines vermittelnden Adjektivs oder Partizips plus einer Präposition um einen Dativ oder Akkusativ prädikativ zu verwenden (Beispiel: "Er ist an Grammatik interessiert.")

Sind diese aufgestellten Kriterien überzeugend oder gibt es Einwände? (Frage an alle)

Schöne Grüße, p.d.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: Gernot Back ()
Datum: 18. Dezember 2021 11:23

Keine Einwände zu 1) und 2).

> 3) Prädikative Dative oder Akkusative sind
> hingegen nach den kopulativen Verben nicht direkt
> möglich. (Bsp.: #"Er ist frohem Mut."#)
> Statt dessen bedarf es eines vermittelnden
> Adjektivs oder Partizips plus einer Präposition um
> einen Dativ oder Akkusativ prädikativ zu verwenden
> (Beispiel: "Er ist an Grammatik interessiert.")
>
> Sind diese aufgestellten Kriterien überzeugend
> oder gibt es Einwände? (Frage an alle)

Natürlich gibt es keine prädikativen Dative, denn ein purer Dativ steht ja für ein indirektes Objekt. Aber es gibt durchaus prädikative Akkusative; man nennt das (ein) Objektsprädikativ!
Dieser letzte Satz mit „nennen“ nach dem Semikolon ist dafür übrigens schon ein Beispiel

In dem Satz „Er ist an Grammatik interessiert“ handelt es sich bei „an Grammatik“ auch um keine adverbiale Angabe (freie Adverbialbestimmung), die wie bei „grimmigen Blickes“ oder „frohen Mutes“ mit „wie“ zu erfragen wäre, sondern um ein Präpositionalobjekt (gebundene Adverbialbestimmung), das man mit einem interrogativen Präpositionalpronomen (Pronominaladverb), z. B. hier mit „woran“ erfragt. Der Vergleich hinkt also.

[dict.leo.org]

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 11. Januar 2022 08:39

Werter Herr Back,

meinen Kriterien 1) und 2) stimmten Sie zu; gegen 3) äußerten Sie einen Einwand.

Ich möchte zum einen Ihren Einwand gegen 3) zurückweisen und zu anderen gegen 2) selbst Widerspruch einlegen:

Kriterium 3) besagt, dass nach kopulativen Verben prädikative Dative und Akkusative nicht direkt möglich seien.
Ihr Einwand führt nun das Objektsprädikativ als prädikativen Akkusativ an. (Bsp.: „Er nennt ihn einen weisen Mann“) Jedoch ist „nennen“ kein kopulatives Verb, zumindest nicht im strengen Sinne, da es bereits ohne Prädikativ eine vom Kontext unabhängige semantische Bedeutung besitzt. Freilich sind die Verben „bleiben“ und „werden“ mit der Bedeutung Zustandsbewahrung respektive Zustandsveränderung belegt, doch immerhin kann man sich bei ihnen ohne Prädikativ nichts anschaulich vorstellen, was bei „nennen“ durchaus bereits möglich ist. -- Lange Rede, kurzer Sinn: Mein Kriterium sollte nur für die kopulativen Verben im engeren Sinn, also „sein“, „bleiben“ und „werden“, gelten, nicht für die weiteren, die mit einem Prädikativum konstruiert werden, doch bereits eine für eine Anschauung hinreichende Semantik besitzen. Und „sein“, „bleiben" und „werden“ haben eben keine prädikativen Akkusative.

Nun zu meinem Einwand gegen 2):

Zunächst ist festzustellen, dass die Genitive nach den kopulativen Verben als prädikative Qualitätsangaben („genitivus qualitatis") gar keine adverbialen Genitive sind. Insofern habe ich, ohne es zu bemerken, das Thema des Threads erweitert.
Nichtsdestoweniger ist die Frage, wann so ein prädikativer Genitiv möglich ist, für den (fortgschrittenen) Deutschlerner trotzdem wichtig. Meine mit Kriterium 2) aufgestellte Behauptung, er sei nach kopulativen Verben generell möglich (wenngleich nicht immer üblich) ist hierbei jedoch nicht haltbar. Dies belegt folgendes Gegenbeispiel zu 2):

#„Das Gebäude ist erstaunlicher Größe.“#

Findet sich nun anderes, diesmal zutreffendes Kriterium dafür, wann ein prädikativer Genitiv möglich ist? (Frage an alle)

-- Noch eine Anmerkung zu Hr. Backs Aussage, Präpositionalobjekte seien mit einem interrogativen Präpositionalpronomen erfragbar („Präpositionalobjekt“ scheint mir bedeutungsgleich mir dem, was ich als „Präpositionalergänzung“ kenne):

Wenn wir den Satz

„das Gebäude ist von erstaunlicher Größe“

nehmen, so müsste nach Herrn Back das Präpositionalobjekt „von erstaunlicher Größe“ mit „wovon“ erfragbar sein. Die Frage „wovon ist das Gebäude?“ lässt mich aber ziemlich stutzen. Ist diese Frage in ihrer Formulierung noch grammatisch zulässig? Und wer versteht sie?

Schöne Grüße, p.d.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: Gernot Back ()
Datum: 12. Januar 2022 17:47

philosophus dubitans schrieb:
-------------------------------------------------------

> Zunächst ist festzustellen, dass die Genitive nach
> den kopulativen Verben als prädikative
> Qualitätsangaben („genitivus qualitatis") gar
> keine adverbialen Genitive sind.

Zumindest könnte man sie mit „wie“ erfragen:
    Ich bin guter Laune. ->

    Wie ist dein Befinden? Wie fühlst du dich? Wie bist du drauf?
> (…)
> Wenn wir den Satz
>
> „das Gebäude ist von erstaunlicher Größe“
>
> nehmen, so müsste nach Herrn Back das
> Präpositionalobjekt „von erstaunlicher Größe“ mit
> „wovon“ erfragbar sein.

Nein, das habe ich auch nicht geschrieben!
Es handelt sich ja hier eben gerade um kein Präpositionalobjekt, um keine Präpositionalergänzung: Auch das würde ich eher mit „wie“ oder „was“ nachfragen, etwa wenn ich die Aussage möglicherweise akustisch nicht richtig verstanden hätte:
    Wie/Was ist das Gebäude?
Auch in dem Satz
    Er ist an Grammatik interessiert.
erfragt das interrogative Präpositionalpronomen/Pronominaladverb „woran“ ja nicht das gesamte Prädikativum, sondern nur dessen enthaltenes Präpositionalobjekt/Präpositionalergänzung.

Die Frage ist ja nicht: *Woran bist du?
Sondern: *Woran bist du interessiert?

Das komplette Prädikativum wäre ebenfalls mit „wie“ oder „was“ zu erfragen:
    Wie/Was bist du?
-> (an Grammatik) interessiert!



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.01.22 18:04.

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Re: Wann ist ein adverbialer Genitiv möglich?
geschrieben von: philosophus dubitans ()
Datum: 01. Februar 2022 14:50

Noch einmal dazu, weshalb meiner Meinung nach "Genitive nach den kopulativen Verben als prädikative Qualitätsangaben („genitivus qualitatis") gar keine adverbialen Genitive sind":

Nehmen wir unser Beispiel:

"Ich bin guter Laune."

-- Zwar kann man fragen "wie bist du?", doch "guter Laune" ist dennoch keine (modale) adverbiale Bestimmung, da Adverbien bzw. adverbiale Bestimmungen per definitionem weggelassen werden können, ohne dass der Satz grammatikalisch unvollständig werden würde. Das ist bei "... guter Laune" aber nicht der Fall.

Unter "Präpositionalobjekt" oder "Präpositionalergänzung" versteht Herr Back offenbar nur diejenigen Präpositionen und die im Kasus von ihnen beherrschten folgenden Nomina, bei denen die Präposition eine notwendige Ergänzung zu einem Verb, Nomen oder Adjektiv darstellt, wie z.B. das "um" (+ Akk.) nach "sich sorgen", "Sorge" und "besorgt". Desgleichen erfordert das Adjektiv "interessiert" die Präposition "an" mit folgender von ihr abhängiger Präpositionalergänzung.

Demgegenüber ist es bei der Kopula "sein" keinesfalls notwendig, dass ihr eine (bestimmte) Präposition folgt. Statt "das Gebäude ist von erstaunlicher Größe" könnte es genauso heißen "das Gebäude ist erstaunlich groß". Insofern kann ich nun nachvollziehen, weshalb Hr. Back "von erstaunlicher Größe" nicht als "Präpositionalergänzung" ansieht.

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