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Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 11. Mai 2024 10:38
Der Thread über die Auswirkung von KI auf dieses Forum und die nachlassende Anzahl von Anfragen hat mich dazu bewogen, eine alte Streitfrage an euch zu richten.
Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz, oder nicht?
Eine Diskussion darüber in einer DaZ-Fortbildung führte nicht zu einem befriedigenden Ergebnis.
Das Argument der Dozentin war: Nein, das ist kein vollständiger Satz, weil das transitive Verb "essen" ein Akkusativ-Objekt benötigt.
Das Argument mehrere Teilnehmer war: Ja, das ist ein vollständiger Satz, denn er enthält Subjekt und Prädikat.
Beide Argumente überzeugen mich nicht. Aus Argument 1 folgt, dass auch diese Sätze ohne Akkusativ-Objekt unvollständig sind:
Chinesen essen vorzugsweise mit Stäbchen.
Ich esse im Sommer gern auf der Terrasse.
Aus Argument 2 folgt, dass alle Sätze mit Subjekt und Prädikat vollständig sind. Während ich den Satz „Ich esse.“ als vollständig empfinde, ist das nicht der Fall bei:
Ich habe. Ich werde. Ich brauche. Ich versuche. Ich gerate …
Zumindest zweifelhaft ist es bei „Ich bin.“ Das könnte man als Satz durchgehen lassen, wenn man sein im Sinne von existieren auffasst (Ich denke, also bin ich.“)
Ich finde für meine gefühlsmäßige Einschätzung keine syntaktische Begründung. Es scheint jedenfalls nicht an der Transitivität des Verbs zu liegen. Vielmehr scheint mir der Informationsgehalt entscheidend zu sein. „Ich esse.“ ist eine mögliche Antwort auf die Frage: „Was machst du gerade?“ „Ich brauche.“ dagegen nicht.
Hier ist übrigens die Antwort der KI (Copilot von Bing, geht auch ohne Handy...)
Frage: Ist der Satz "Ich esse." ein vollständiger Satz?
Antwort der KI: Ja, der Satz "Ich esse." ist ein vollständiger Satz. Er besteht aus einem Subjekt ("Ich") und einem Prädikat ("esse"), was für einen vollständigen Satz ausreicht.
Frage: Ist der Satz "Ich brauche." ein vollständiger Satz?
Antwort der KI: Ja, der Satz "Ich brauche." ist ein vollständiger Satz. Er enthält ein Verb ("brauche"), drückt eine vollständige Idee aus und benötigt keine weiteren Informationen, damit der Leser den Satz versteht.
Letzterem würde ich widersprechen wollen :).
Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz, oder nicht?
Eine Diskussion darüber in einer DaZ-Fortbildung führte nicht zu einem befriedigenden Ergebnis.
Das Argument der Dozentin war: Nein, das ist kein vollständiger Satz, weil das transitive Verb "essen" ein Akkusativ-Objekt benötigt.
Das Argument mehrere Teilnehmer war: Ja, das ist ein vollständiger Satz, denn er enthält Subjekt und Prädikat.
Beide Argumente überzeugen mich nicht. Aus Argument 1 folgt, dass auch diese Sätze ohne Akkusativ-Objekt unvollständig sind:
Chinesen essen vorzugsweise mit Stäbchen.
Ich esse im Sommer gern auf der Terrasse.
Aus Argument 2 folgt, dass alle Sätze mit Subjekt und Prädikat vollständig sind. Während ich den Satz „Ich esse.“ als vollständig empfinde, ist das nicht der Fall bei:
Ich habe. Ich werde. Ich brauche. Ich versuche. Ich gerate …
Zumindest zweifelhaft ist es bei „Ich bin.“ Das könnte man als Satz durchgehen lassen, wenn man sein im Sinne von existieren auffasst (Ich denke, also bin ich.“)
Ich finde für meine gefühlsmäßige Einschätzung keine syntaktische Begründung. Es scheint jedenfalls nicht an der Transitivität des Verbs zu liegen. Vielmehr scheint mir der Informationsgehalt entscheidend zu sein. „Ich esse.“ ist eine mögliche Antwort auf die Frage: „Was machst du gerade?“ „Ich brauche.“ dagegen nicht.
Hier ist übrigens die Antwort der KI (Copilot von Bing, geht auch ohne Handy...)
Frage: Ist der Satz "Ich esse." ein vollständiger Satz?
Antwort der KI: Ja, der Satz "Ich esse." ist ein vollständiger Satz. Er besteht aus einem Subjekt ("Ich") und einem Prädikat ("esse"), was für einen vollständigen Satz ausreicht.
Frage: Ist der Satz "Ich brauche." ein vollständiger Satz?
Antwort der KI: Ja, der Satz "Ich brauche." ist ein vollständiger Satz. Er enthält ein Verb ("brauche"), drückt eine vollständige Idee aus und benötigt keine weiteren Informationen, damit der Leser den Satz versteht.
Letzterem würde ich widersprechen wollen :).
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Gernot Back
()
Datum: 11. Mai 2024 13:28
Tiffy schrieb:
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Schön, dass du zu uns gefunden hast, Tiffy!
> Aus Argument 1 folgt, dass auch diese Sätze
> ohne Akkusativ-Objekt unvollständig sind:
> Chinesen essen vorzugsweise mit Stäbchen.
> Ich esse im Sommer gern auf der Terrasse.
Das Verb »essen« hat nach Lesart_1 des E-Valbus eine fakultative Akkusativergänzung und nach Lesart_2 mindestens eine obligatorische temporale oder lokale Adverbialergänzung. Das von dir genannte modale Adverbialkomplement (mit Stäbchen) wäre da m. E. noch mit aufzunehmen.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 11.05.24 13:33.
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Schön, dass du zu uns gefunden hast, Tiffy!
> Aus Argument 1 folgt, dass auch diese Sätze
> ohne Akkusativ-Objekt unvollständig sind:
> Chinesen essen vorzugsweise mit Stäbchen.
> Ich esse im Sommer gern auf der Terrasse.
Das Verb »essen« hat nach Lesart_1 des E-Valbus eine fakultative Akkusativergänzung und nach Lesart_2 mindestens eine obligatorische temporale oder lokale Adverbialergänzung. Das von dir genannte modale Adverbialkomplement (mit Stäbchen) wäre da m. E. noch mit aufzunehmen.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 11.05.24 13:33.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 11. Mai 2024 17:52
Danke.
Das würde ich jetzt so verstehen, dass bei dem Verb essen nach Lesart 1 mit fakultativer Akkusativergänzung der Satz "Ich esse." möglich ist, bei dem Verb versuchen mit obligatorischer Akkusativergänzung dagegen nicht. So weit passt es. Ich verstehe das mit den obligatorischen Ergänzungen aber trotzdem nicht. Für das Verb warten gibt es nur die Lesarten warten im Sinne von etwas pflegen und warten auf etwas, wobei auf etwas eine obligatorische Ergänzung ist. Ist der Satz
"Ein Mann wartet an der Bushaltestelle." also falsch?
Das würde ich jetzt so verstehen, dass bei dem Verb essen nach Lesart 1 mit fakultativer Akkusativergänzung der Satz "Ich esse." möglich ist, bei dem Verb versuchen mit obligatorischer Akkusativergänzung dagegen nicht. So weit passt es. Ich verstehe das mit den obligatorischen Ergänzungen aber trotzdem nicht. Für das Verb warten gibt es nur die Lesarten warten im Sinne von etwas pflegen und warten auf etwas, wobei auf etwas eine obligatorische Ergänzung ist. Ist der Satz
"Ein Mann wartet an der Bushaltestelle." also falsch?
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Gernot Back
()
Datum: 11. Mai 2024 18:58
Tiffy schrieb:
-------------------------------------------------------
> Ist der Satz
> "Ein Mann wartet an der Bushaltestelle."
> also falsch?
Nein, natürlich nicht! Worauf wartet man wohl an der Bushaltestelle, wenn sich aus dem vorausgehenden Kotext nichts anderes ergibt? Auch obligatorische Ergänzungen müssen nicht immer explizit sein.
Ein Beispiel für eine andere Ergänzung als »auf den Bus« könnte sein, dass im Kotext zuvor davon die Rede war, dass jemand von jemand anderem abgeholt werden soll:
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> Ist der Satz
> "Ein Mann wartet an der Bushaltestelle."
> also falsch?
Nein, natürlich nicht! Worauf wartet man wohl an der Bushaltestelle, wenn sich aus dem vorausgehenden Kotext nichts anderes ergibt? Auch obligatorische Ergänzungen müssen nicht immer explizit sein.
Ein Beispiel für eine andere Ergänzung als »auf den Bus« könnte sein, dass im Kotext zuvor davon die Rede war, dass jemand von jemand anderem abgeholt werden soll:
Falls du dich verspätest, warte ich an der Bushaltestelle.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 11. Mai 2024 19:16
Die Frage war auch eher rhetorisch. Natürlich ist der Satz nicht falsch, aber ich konnte keinen Denkfehler erkennen. Eine obligatorische Ergänzung kann also implizit sein?! Was ist mit "Ein Mann wartet in einem Sessel." Hängt die Korrektheit dieses Satzes davon ab, ob der vorausgehende Kontext impliziert, worauf er wartet, oder nicht? :)
Sorry für meine Hartnäckigkeit, aber ich bin keine Linguistin und hadere etwas mit der Valenzgrammatik. Sie erscheint mir (aus meiner Perspektive von außen) nicht immer schlüssig. (Was natürlich an meinem mangelnden Verständnis der Materie liegen kann.)
Sorry für meine Hartnäckigkeit, aber ich bin keine Linguistin und hadere etwas mit der Valenzgrammatik. Sie erscheint mir (aus meiner Perspektive von außen) nicht immer schlüssig. (Was natürlich an meinem mangelnden Verständnis der Materie liegen kann.)
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Gernot Back
()
Datum: 12. Mai 2024 10:21
Tiffy schrieb:
-------------------------------------------------------
> Eine obligatorische Ergänzung kann also implizit sein?!
> Was ist mit "Ein Mann wartet in einem Sessel."
> Hängt die Korrektheit dieses Satzes davon ab, ob der
> vorausgehende Kontext impliziert, worauf er wartet,
> oder nicht? :)
Sicherlich steht dieser Satz nicht im luftleeren Raum, aus dem vorausgehenden Kotext oder dem situativen Kontext ergibt sich sicherlich, worauf dieser Mann wartet. Möglicherweise wird ein Wartebereich in einer Hotellobby, einer Privatarztpraxis, einer Anwaltskanzlei oder einer Bank beschrieben; beim Jobcenter oder Sozialamt erwartet man eher keine Möblierung mit Sesseln.
> Sorry für meine Hartnäckigkeit, aber ich bin keine
> Linguistin und hadere etwas mit der Valenzgrammatik.
Ich sehe keine ernstzunehmende Alternative zur Dependenzgrammatik, gerade auch was die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache angeht.
> Sie erscheint mir (aus meiner Perspektive von außen)
> nicht immer schlüssig. (Was natürlich an meinem
> mangelnden Verständnis der Materie liegen kann.)
Das trifft auf andere Grammatikmodelle m. E. noch viel mehr zu. Aber stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel; du stellst ja genau die richtigen kritischen (linguistischen!) Fragen.
-------------------------------------------------------
> Eine obligatorische Ergänzung kann also implizit sein?!
> Was ist mit "Ein Mann wartet in einem Sessel."
> Hängt die Korrektheit dieses Satzes davon ab, ob der
> vorausgehende Kontext impliziert, worauf er wartet,
> oder nicht? :)
Sicherlich steht dieser Satz nicht im luftleeren Raum, aus dem vorausgehenden Kotext oder dem situativen Kontext ergibt sich sicherlich, worauf dieser Mann wartet. Möglicherweise wird ein Wartebereich in einer Hotellobby, einer Privatarztpraxis, einer Anwaltskanzlei oder einer Bank beschrieben; beim Jobcenter oder Sozialamt erwartet man eher keine Möblierung mit Sesseln.
> Sorry für meine Hartnäckigkeit, aber ich bin keine
> Linguistin und hadere etwas mit der Valenzgrammatik.
Ich sehe keine ernstzunehmende Alternative zur Dependenzgrammatik, gerade auch was die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache angeht.
> Sie erscheint mir (aus meiner Perspektive von außen)
> nicht immer schlüssig. (Was natürlich an meinem
> mangelnden Verständnis der Materie liegen kann.)
Das trifft auf andere Grammatikmodelle m. E. noch viel mehr zu. Aber stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel; du stellst ja genau die richtigen kritischen (linguistischen!) Fragen.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 12. Mai 2024 17:08
Mein Problem war die Bedeutung von obligatorisch. In der Mathematik könnte man eine obligatorische Eigenschaft eines Objekts nicht weglassen, ohne dass das Ergebnis falsch wird. Beispielsweise sind für ein Quadrat zwei Eigenschaften obligatorisch: vier gleich lange Seite und rechte Winkel. Lässt man eines davon weg, wird die Aussage "Das ist ein Quadrat." automatisch falsch.
Dies ist hier aber nicht der Fall. Man sollte gelegentlich auch die Erläuterungen lesen :) Zu Valbu habe ich folgendes gefunden:
Phrasen, die nur unter bestimmten situations- oder kontextabhängigen Bedingungen weggelassen werden können, werden in VALBU als obligatorisch gesetzt.
...
Andere Wörterbücher sind einen anderen Weg gegangen und haben nur die ++ fixierten Phrasen als obligatorisch angesehen und die meisten anderen als fakultativ.
Das erklärt, warum man auch obligatorische Ergänzungen u.U. weglassen kann, ohne dass das Ergebnis falsch wird.
Trotzdem kann ich bei den bisher betrachteten Verben relativ problemlos Sätze konstruieren, die nicht erfasst sind. Nehmen wir noch mal das Beispiel des Mannes im Sessel:
Bond durchquerte die Abflughalle mit eiligem Schritt. Zwei Flugbegleiterinnen huschten vorbei. In einem Sessel wartete ein Mann und las eine Zeitung. ...
Dasist weder generalisierend, noch kann man aus dem Kontext klar entnehmen, worauf der Mann wartet. Vielleicht auf sein Flugzeug? Oder auf eine Freundin, darauf dass der Regen aufhört, oder auf den feindlichen britischen Agenten, den er gleich erschießen will?
Da der Satz mMn trotzdem zulässig ist, habe ich eine Frage zur Methodik. Ist es richtig, dass Valbu und andere Valenzwörterbücher aus der Analyse von Gegenwartssprache entstehen? Handelt es sich demnach um (unvollständige) Positivlisten?
Dies ist hier aber nicht der Fall. Man sollte gelegentlich auch die Erläuterungen lesen :) Zu Valbu habe ich folgendes gefunden:
Phrasen, die nur unter bestimmten situations- oder kontextabhängigen Bedingungen weggelassen werden können, werden in VALBU als obligatorisch gesetzt.
...
Andere Wörterbücher sind einen anderen Weg gegangen und haben nur die ++ fixierten Phrasen als obligatorisch angesehen und die meisten anderen als fakultativ.
Das erklärt, warum man auch obligatorische Ergänzungen u.U. weglassen kann, ohne dass das Ergebnis falsch wird.
Trotzdem kann ich bei den bisher betrachteten Verben relativ problemlos Sätze konstruieren, die nicht erfasst sind. Nehmen wir noch mal das Beispiel des Mannes im Sessel:
Bond durchquerte die Abflughalle mit eiligem Schritt. Zwei Flugbegleiterinnen huschten vorbei. In einem Sessel wartete ein Mann und las eine Zeitung. ...
Dasist weder generalisierend, noch kann man aus dem Kontext klar entnehmen, worauf der Mann wartet. Vielleicht auf sein Flugzeug? Oder auf eine Freundin, darauf dass der Regen aufhört, oder auf den feindlichen britischen Agenten, den er gleich erschießen will?
Da der Satz mMn trotzdem zulässig ist, habe ich eine Frage zur Methodik. Ist es richtig, dass Valbu und andere Valenzwörterbücher aus der Analyse von Gegenwartssprache entstehen? Handelt es sich demnach um (unvollständige) Positivlisten?
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
bluemoon
()
Datum: 13. Mai 2024 09:38
Ich denke nicht, dass es so kompliziert ist.
Der Mann wartet auf den Bus. Worauf wartet er?
Auf den Bus ist hier ein Präpositionalobjekt.
Der Mann wartet an der Bushaltestelle. Wo wartet der Mann?
An der Bushaltestelle ist hier eine lokale Angabe.
Der Mann wartet. Was tut der Mann?
Das Verb "warten" funktioniert auch ohne Ergänzung oder Angabe.
Es ist also ein variantenreiches Verb:-)
Der Mann wartet auf den Bus. Worauf wartet er?
Auf den Bus ist hier ein Präpositionalobjekt.
Der Mann wartet an der Bushaltestelle. Wo wartet der Mann?
An der Bushaltestelle ist hier eine lokale Angabe.
Der Mann wartet. Was tut der Mann?
Das Verb "warten" funktioniert auch ohne Ergänzung oder Angabe.
Es ist also ein variantenreiches Verb:-)
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 13. Mai 2024 13:24
Hallo Bluemoon,
schön, dass sich noch jemand auf diese zugegeben recht verkopfte Diskussion einlässt :)
Du hast natürlich recht, der Beispielsatz ist im Grunde nicht kompliziert. Es geht mir mehr um die dahinterliegende Frage, wie man überhaupt nachweisen kann, ob ein Satz richtig ist, oder nicht.
Welcher der folgenden Sätze ist deiner Ansicht nach möglich?
1. Ich esse.
2. Ich brauche.
3. Ich warte.
Und wie kann man das begründen?
Gernot hat hierzu das Valenzwörterbuch E-Valbu ins Gespräch gebracht, und ich versuche gerade herauszufinden, inwieweit ein solches Valenzwörterbuch geeignet ist, um die Frage zu klären. Mein Eindruck bis hierher: Valenzwörterbücher können nur nachweisen, dass ein Satz richtig ist. Sie sind ungeeignet für den Nachweis, dass ein Satz falsch ist. Um diese These zu bestätigen, müsste ich aber mehr darüber herausfinden, wie dieses Wörterbuch entstanden ist bzw. welche Datengrundlage verwendet wurde.
schön, dass sich noch jemand auf diese zugegeben recht verkopfte Diskussion einlässt :)
Du hast natürlich recht, der Beispielsatz ist im Grunde nicht kompliziert. Es geht mir mehr um die dahinterliegende Frage, wie man überhaupt nachweisen kann, ob ein Satz richtig ist, oder nicht.
Welcher der folgenden Sätze ist deiner Ansicht nach möglich?
1. Ich esse.
2. Ich brauche.
3. Ich warte.
Und wie kann man das begründen?
Gernot hat hierzu das Valenzwörterbuch E-Valbu ins Gespräch gebracht, und ich versuche gerade herauszufinden, inwieweit ein solches Valenzwörterbuch geeignet ist, um die Frage zu klären. Mein Eindruck bis hierher: Valenzwörterbücher können nur nachweisen, dass ein Satz richtig ist. Sie sind ungeeignet für den Nachweis, dass ein Satz falsch ist. Um diese These zu bestätigen, müsste ich aber mehr darüber herausfinden, wie dieses Wörterbuch entstanden ist bzw. welche Datengrundlage verwendet wurde.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
bluemoon
()
Datum: 13. Mai 2024 14:03
Hallo Tiffy,
ich kenne das erwähnte Valenz-Wörterbuch leider nicht.
Ich würde bei deinen Beispielsätzen so argumentieren, dass es sich bei Satz 1 und 3 um vollständige Satzaussagen handelt, die man mit der Frage: "Was tue ich?" erschließen kann.
"brauchen" hingegen kann einerseits mit Akkusativ stehen:
Ich brauche eine neue Tasche.
Aber es kann andererseits auch ein modifizierendes Verb sein, das zwingend eine Verneinung und den Infinitiv+zu benötigt:
Du brauchst heute nicht abzuwaschen.
Ich würde sagen, weil das Verb "brauchen" eben häufig als Modalverb mit einer obligatorischen Verbergänzung verwendet wird, kann es, wie in deinem Beispielsatz, nicht alleine stehen. "Ich brauche." kann man nicht mit "Was tue ich?" vollständig erfragen.
So würde ich das sehen:-)
ich kenne das erwähnte Valenz-Wörterbuch leider nicht.
Ich würde bei deinen Beispielsätzen so argumentieren, dass es sich bei Satz 1 und 3 um vollständige Satzaussagen handelt, die man mit der Frage: "Was tue ich?" erschließen kann.
"brauchen" hingegen kann einerseits mit Akkusativ stehen:
Ich brauche eine neue Tasche.
Aber es kann andererseits auch ein modifizierendes Verb sein, das zwingend eine Verneinung und den Infinitiv+zu benötigt:
Du brauchst heute nicht abzuwaschen.
Ich würde sagen, weil das Verb "brauchen" eben häufig als Modalverb mit einer obligatorischen Verbergänzung verwendet wird, kann es, wie in deinem Beispielsatz, nicht alleine stehen. "Ich brauche." kann man nicht mit "Was tue ich?" vollständig erfragen.
So würde ich das sehen:-)
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 13. Mai 2024 14:44
Du entscheidest es also auch danach, ob der Satz für dich einen Sinn ergibt. Wenn ich es richtig verstehe, versucht die Dependenzgrammatik diesen Einfluss der Bedeutungsebene auf die Satzstruktur mit abzubilden. Vielleicht kann uns ja noch jemand mehr dazu sagen.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
bluemoon
()
Datum: 13. Mai 2024 17:47
Manche Ergänzungen haben eben eine stärkere Wertigkeit als andere. Um noch mal auf dein Beispiel zu dem Verb "etwas warten" im Sinne von "etwas pflegen") zurückzukommen: Da ist die Akkusativergänzung zwingend, sonst kann man das Verb nicht im Sinne von "etwas pflegen" verstehen. Daher würde bei dieser Bedeutung auch der kurze Satz "Ich warte" nicht funktionieren. Der funktioniert nur bei "warten" im Sinne von "ausharren" oder dergleichen.
Re: Ist "Ich esse." ein vollständiger Satz?
geschrieben von:
Tiffy
()
Datum: 14. Mai 2024 16:49
bluemoon schrieb:
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> Manche Ergänzungen haben eben eine stärkere
> Wertigkeit als andere.
Ja, so viel habe ich jetzt verstanden :)
Damit alle nachvollziehen können, worum es geht, hier der Link zum elektronischen Wörterbuch (ich hoffe, das klappt)
Link zum Eintrag "warten"
Ich habe die gesuchte Information inzwischen gefunden und sie hat meine Vermutung erhärtet, dass mein Problem mit dem Verb warten ein typisches Problem empirischer Datenanalyse ist.
Um deutlich zu machen, auf was ich hinaus will, muss ich leider etwas ausholen. Vermutlich wird der ein oder andere jetzt denken: "Jetzt ist sie völlig durchgedreht!" ... :)
Aber egal, vielleicht hat ja doch jemand Lust, meinen Gedankengängen zu folgen, deshalb hier
zunächst nochmal ein (zugegeben recht konstruiertes) Beispiel aus der Mathematik:
Eine Gruppe von Probanden wird aufgefordert, Vierecke mit besonderen Eigenschaften zu zeichnen. Aus soziokulturellen Gründen zeichnet niemand einen Drachen, z.B. weil wir zufällig nur Personen ausgewählt haben, für die Drachen ein Unglückssymbol darstellen. (Das ist der Auswahleffekt, der gleich noch wichtig wird.)
Die Forscher analysieren die Ergebnisse, ordnen sie in verschiedene Kategorien, prüfen sorgfältig nach, ob die Bedingung Viereck mit besonderen Eigenschaften erfüllt ist, sortieren ggf. offensichtlich falsche Elemente (wie Dreiecke) aus und erstellen diese Liste:
Quadrat, Rechteck, Parallelogramm, Raute, Trapez
Auf Grundlage dieser Liste kann die Frage "Ist ein Rechteck ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" eindeutig mit Ja beantwortet werden.
Die Frage "Ist ein Drachen ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" aber nicht, und auch nicht:
"Ist ein Kreis ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" Für beide ist die Antwort: vielleicht. Der Kreis ist nicht in der Liste, weil er kein Viereck ist. Der Drachen ist nicht in der Liste, weil die Liste aufgrund von Auswahleffekten unvollständig ist. Wir können diese Fälle aber ohne weitere Information nicht unterscheiden.
Fazit: Eine auf der Analyse von empirischen Daten basierende Liste positiver Beispiele unterliegt häufig Auswahleffekten, die dazu führen, dass die Liste a) unvollständig ist und b) infolgedessen keinen Nachweis erbringen kann, dass eine Aussage falsch ist.
Was hat das alles jetzt mit dem Valenzwörterbuch und dem Problem des wartenden Mannes im Sessel zu tun?
Bei dem kurzen Absatz mit James Bond am Flughafen fiel mir auf, dass das ein sehr textsortenspezifisches Beispiel ist. Solche Sätze findet man vor allem in szenischen Beschreibungen in bellestrischen Texten. Es werden wartende Personen beschrieben, ohne dass der Erzähler weiß (oder wissen will), worauf genau sie warten.
Ein Blick in die Liste der Textquellen des Valbu-Projekts (Quellenliste) zeigt, dass hier bellestrische Quellen (sehr!) stark unterrepräsentiert sind. Es gibt also einen textsortenspezifischen Auswahleffekt. Meiner Ansicht nach kann das Verb warten ohne Einschränkungen auch ohne die präpositionale Ergänzung verwendet werden, aber da überwiegend Zeitungsartikel in die Analyse eingeflossen sind, ist diese Möglichkeit (Lesart?) (ähnlich wie der Drachen) unter den Tisch gefallen.
Das kann man jetzt als überflüssige Spitzfindigkeit abtun, schließlich sind wir uns ja alle einig, dass der Mann im Sessel warten kann, ohne dass wir wissen, auf was eigentlich. Aber dieses Forum will ja sprachliche Zweifelsfälle klären, und der beschriebene Effekt hat auch Auswirkungen auf andere Probleme, zum Beispiel auf den alten Thread über den schönen Satz "Ich gehe im Wald." (Dazu deshalb irgendwann später noch mal mehr.)
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> Manche Ergänzungen haben eben eine stärkere
> Wertigkeit als andere.
Ja, so viel habe ich jetzt verstanden :)
Damit alle nachvollziehen können, worum es geht, hier der Link zum elektronischen Wörterbuch (ich hoffe, das klappt)
Link zum Eintrag "warten"
Ich habe die gesuchte Information inzwischen gefunden und sie hat meine Vermutung erhärtet, dass mein Problem mit dem Verb warten ein typisches Problem empirischer Datenanalyse ist.
Um deutlich zu machen, auf was ich hinaus will, muss ich leider etwas ausholen. Vermutlich wird der ein oder andere jetzt denken: "Jetzt ist sie völlig durchgedreht!" ... :)
Aber egal, vielleicht hat ja doch jemand Lust, meinen Gedankengängen zu folgen, deshalb hier
zunächst nochmal ein (zugegeben recht konstruiertes) Beispiel aus der Mathematik:
Eine Gruppe von Probanden wird aufgefordert, Vierecke mit besonderen Eigenschaften zu zeichnen. Aus soziokulturellen Gründen zeichnet niemand einen Drachen, z.B. weil wir zufällig nur Personen ausgewählt haben, für die Drachen ein Unglückssymbol darstellen. (Das ist der Auswahleffekt, der gleich noch wichtig wird.)
Die Forscher analysieren die Ergebnisse, ordnen sie in verschiedene Kategorien, prüfen sorgfältig nach, ob die Bedingung Viereck mit besonderen Eigenschaften erfüllt ist, sortieren ggf. offensichtlich falsche Elemente (wie Dreiecke) aus und erstellen diese Liste:
Quadrat, Rechteck, Parallelogramm, Raute, Trapez
Auf Grundlage dieser Liste kann die Frage "Ist ein Rechteck ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" eindeutig mit Ja beantwortet werden.
Die Frage "Ist ein Drachen ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" aber nicht, und auch nicht:
"Ist ein Kreis ein Viereck mit besonderen Eigenschaften?" Für beide ist die Antwort: vielleicht. Der Kreis ist nicht in der Liste, weil er kein Viereck ist. Der Drachen ist nicht in der Liste, weil die Liste aufgrund von Auswahleffekten unvollständig ist. Wir können diese Fälle aber ohne weitere Information nicht unterscheiden.
Fazit: Eine auf der Analyse von empirischen Daten basierende Liste positiver Beispiele unterliegt häufig Auswahleffekten, die dazu führen, dass die Liste a) unvollständig ist und b) infolgedessen keinen Nachweis erbringen kann, dass eine Aussage falsch ist.
Was hat das alles jetzt mit dem Valenzwörterbuch und dem Problem des wartenden Mannes im Sessel zu tun?
Bei dem kurzen Absatz mit James Bond am Flughafen fiel mir auf, dass das ein sehr textsortenspezifisches Beispiel ist. Solche Sätze findet man vor allem in szenischen Beschreibungen in bellestrischen Texten. Es werden wartende Personen beschrieben, ohne dass der Erzähler weiß (oder wissen will), worauf genau sie warten.
Ein Blick in die Liste der Textquellen des Valbu-Projekts (Quellenliste) zeigt, dass hier bellestrische Quellen (sehr!) stark unterrepräsentiert sind. Es gibt also einen textsortenspezifischen Auswahleffekt. Meiner Ansicht nach kann das Verb warten ohne Einschränkungen auch ohne die präpositionale Ergänzung verwendet werden, aber da überwiegend Zeitungsartikel in die Analyse eingeflossen sind, ist diese Möglichkeit (Lesart?) (ähnlich wie der Drachen) unter den Tisch gefallen.
Das kann man jetzt als überflüssige Spitzfindigkeit abtun, schließlich sind wir uns ja alle einig, dass der Mann im Sessel warten kann, ohne dass wir wissen, auf was eigentlich. Aber dieses Forum will ja sprachliche Zweifelsfälle klären, und der beschriebene Effekt hat auch Auswirkungen auf andere Probleme, zum Beispiel auf den alten Thread über den schönen Satz "Ich gehe im Wald." (Dazu deshalb irgendwann später noch mal mehr.)
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