Hallo,

in einem Arbeitsblatt zu Fokus Deutsch B1+ habe ich heute folgenden Übungssatz gefunden, mit dem das Plusquamperfekt geübt werden sollte:

"Wir waren alle unzufrieden, bevor wir den Urlaub mit unseren Kollegen und dem Chef abgestimmt hatten." (Das Plusquamperfekt sollte von den KTN gebildet werden.)

Eigentlich wird bei Nebensätzen mit bevor doch im Haupt- und Nebensatz die gleiche Zeitform verwendet. Ist dieser Satz so falsch? Müsste Perfekt verwendet werden?
Es hört sich für mich jedenfalls nicht falsch an.
Ich habe versucht, den Grund herauszufinden, aber keine Lösung gefunden. Ich bin auch gescheitert, andere Sätze mit bevor zu formulieren, in denen zwei verschiedenen Zeitformen benutzt werden. Für meine KTN war es auch unlogisch, weil bei Nebensätzen mit bevor die Handlung im Nebensatz ja nach der Handlung im Hauptsatz geschieht.

Bin dankbar für eure Antworten.

Simon

Zitat

geschrieben von: SimonPeters

Eigentlich wird bei Nebensätzen mit bevor doch im Haupt- und Nebensatz die gleiche Zeitform verwendet.

Nein, das ist nicht richtig.

Beispiele:

Und der Zug fuhr ab, bevor sie sich ausgesprochen hatten. (Präteritum, Plusquamperfekt)
"Ist jemand hier?" fragte er, noch bevor er den Lichtschaltergefunden hatte. (Präteritum + Plusquamperfekt)

Zeitenfolge:

Ich frühstücke, bevor ich zur Uni fahre.(Präsens, Präsens)
Er weiß alles, bevor man es ihm erzählt. (Präsens + Präsens)
Ich frühstückte, bevor ich zur Uni fuhr. (Präteritum, Präteritum)
Es dauerte eine Zeitlang, ehe (bevor) er den Weg fand. (Präteritum, Präteritum)
Ich habe gefrühstückt, bevor ich zur Uni gefahren bin.(Perfekt, Perfekt)
Ich habe gefrühstückt, bevor ich zur Uni fahre. (Perfekt, Präsens)
Ich hatte gefrüstückt, bevor ich zur Uni fuhr. (Plusquamperfekt, Präteritum)
Ich frühstücke, bevor ich zur Uni fahren werde. (Präsens, Futur I)



9-mal bearbeitet. Zuletzt am 17.06.23 12:33.

Milorad Gavrilovic schrieb:
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Zitat
SimonPeters

Eigentlich wird bei Nebensätzen mit bevor doch im Haupt- und Nebensatz die gleiche Zeitform verwendet.

> Nein, das ist nicht richtig.
>
> Beispiele:
>
> Und der Zug fuhr ab, bevor sie sich
> ausgesprochen hatten. (Präteritum,
> Plusquamperfekt)
> "Ist jemand hier?" fragte er, noch bevor er
> den Lichtschalter gefunden hatten.

Da muss ich widersprechen:

Bei einem Satz mit »bevor« ergibt es ja nur einen Sinn, das Verb im Matrixsatz in eine Zeitstufe zu setzen, die weiter in der Vergangenheit liegt als das Verb im Nebensatz, und nicht umgekehrt!

Bei »bevor« handelt es sich ja um das Gegenteil von »nachdem«, und den nachdem-Satz muss man ins Plusquamperfekt setzen, wenn der Matrixsatz bereits in der Vergangenheit steht, um seine Vorzeitigkeit zu kennzeichnen.

Der bevor-Satz ist aber nachzeitig, d.h., was im bevor-Satz steht, passiert nach dem, was in seinem Matrixsatz steht.

Danke schon mal für eure Antworten.
>
> Der bevor-Satz ist aber
> nachzeitig,
> d.h., was im bevor-Satz steht, passiert
> nach dem, was in seinem Matrixsatz steht.

Das ist ja auch das, was für meine KTN unlogisch war.
Mein Problem besteht aber weiterhin. Warum klingt der Satz mit Präteritum im Hauptsatz und Plusquamperfekt im Nebensatz mit bevor nicht falsch für mich?
Auch der Satz "Der Zug fuhr ab, bevor sie sich ausgesprochen hatten." klingt für mich nicht falsch. Ich würde nicht korrigieren und sagen, dass "Der Zug fuhr ab, bevor sie sich aussprachen." besser klingt.

SimonPeters schrieb:
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> Das ist ja auch das, was für meine KTN unlogisch war.
> Mein Problem besteht aber weiterhin. Warum klingt
> der Satz mit Präteritum im Hauptsatz und
> Plusquamperfekt im Nebensatz mit bevor nicht
> falsch für mich?

Er ist falsch!

Er müsste heißen:

   Wir waren alle unzufrieden, bis wir (endlich) den Urlaub mit unseren Kollegen 
   und dem Chef abstimmten.

> Auch der Satz "Der Zug fuhr ab, bevor sie sich
> ausgesprochen hatten." klingt für mich nicht
> falsch. Ich würde nicht korrigieren und sagen,
> dass "Der Zug fuhr ab, bevor sie sich
> aussprachen." besser klingt.

Der Satz ergibt doch wahrscheinlich sowieso keinen Sinn! Ist es denn überhaupt zu einer Aussprache gekommen? Wenn nicht, dann müsste der Satz doch richtigerweise im Konjunktiv 2 der Vergangenheit (Irrealis) wie folgt heißen:

   Der Zug fuhr ab, bevor sie sich hätten aussprechen können.

Das erinnert mich an andere verquere, umgangssprachlich aber übliche Ausdrucksweisen, wie z. B.:

  *Das wollte er dir noch mitgeteilt haben.

statt einfach:

   Das wollte er dir noch mitteilen.

oder:

   Das hätte er dir noch mitteilen wollen.

Den mit * markierten Satz kann man nämlich grammatikkonform eigentlich nur mit subjektiver Modalität interpretieren, und zwar derart, dass man seine damalige Aussage, jemandem noch etwas mitgeteilt zu haben, bloß für eine Behauptung hält. [dict.leo.org]



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 17.06.23 12:11.

Zitat

Temporalsätze mit "bevor" und "ehe" drücken eine Ungleichzeitigkeit zweier Handlungen aus. Die Handlung des Hauptsatzes tritt dabei zuerst ein, die Handlung des Nebensatzes folgt nach dem Hauptsatz. Beide Verben, sowohl der HS als auch der NS, haben bei diesen Konjunktionen das gleiche Tempus.

Beispiele:

1.„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“ (Albert Schweitzer)

HS - Präsens + NS - Perfekt

Die Zeitformen im Haupt- und Nebensatz sind hier nicht gleich.


2. das gleiche Tempus im Haupt- und Nebensatz:

Einige Augenblicke später, noch ehe ich die Tante hatte rufen können, war er gestorben.



3-mal bearbeitet. Zuletzt am 16.06.23 18:11.

Milorad Gavrilovic schrieb:
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Zitat
https://mein-deutschbuch.de/bevor.html
Temporalsätze mit "bevor" und "ehe" drücken eine Ungleichzeitigkeit zweier Handlungen aus. Die Handlung des Hauptsatzes tritt dabei zuerst ein, die Handlung des Nebensatzes folgt nach dem Hauptsatz. Beide Verben, sowohl der HS als auch der NS, haben bei diesen Konjunktionen das gleiche Tempus.

> 1.„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der
> Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat,
> sich selbst zu beherrschen.“ (Albert Schweitzer)
>
> HS - Präsens + NS - Perfekt
>
> Die Zeitformen im Haupt- und Nebensatz sind hier
> nicht gleich.

Sie müssen auch nicht unbedingt gleich sein, nur darf die Zeitform, die im bevor-Satz benutzt wird, auf dem Zeitstrahl nicht vor jener liegen, die in dessen Matrixsatz gebraucht wird, sondern, wenn überhaupt, dann umgekehrt! [dict.leo.org]

Das ist in dem Albert-Schweitzer-Zitat aber auch nur scheinbar der Fall, denn das Perfekt wird hier als umgangssprachliches Futur 2 benutzt, so wie man im Deutschen ja auch das Präsens (meist mit Zeitangabe) anstelle des Futur 1 benutzt.

Zitat
de.wikipedia.org/wiki/Futur#Futur_II
Umgangssprachlich werden vorzeitige Handlungen in der Zukunft, da sie ja relativ zur Haupthandlung in der Zukunft in der Vergangenheit liegen, auch durch das Perfekt ausgedrückt:

   „Nächstes Jahr um diese Zeit habe ich meinen Führerschein gemacht.“

statt

   „Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich meinen Führerschein gemacht haben.“

Wenn Albert Schweitzer heute noch leben würde, wäre er sicherlich der Ansicht, dass der Mensch immer noch nicht gelernt hat, sich selbst zu beherrschen. Was er also sagen wollte, war:

   „Der Mensch beherrscht die Natur (bereits jetzt), (noch) bevor er (vielleicht irgend- 
   eines fernen Tages einmal) gelernt haben wird, sich selbst zu beherrschen.“

Versetzen wir uns doch einmal ganz optimistisch in diese ferne Zukunft und blicken von dort aus zurück in die Vergangenheit, also auf unsere Gegenwart. Dann würden wir den Gedanken Albert Schweitzers wie folgt wiedergeben:

   „Der Mensch hat(te) die Natur (bereits) beherrscht, bevor er gelernt hat, sich selbst 
   zu beherrschen.“

1. Das frühere Ereignis steht im Plusquamperfekt, das spätere im Präteritum oder im Perfekt.

Beispiel: Er hatte sehr lange gespart, bevor er sich ein neues Auto gekauft hat.

Der bevor-Satz ist nachzeitig. Was im bevor-Satz steht, passiert nach dem, was im Hauptsatz steht.

2. Beispiel: "Ist jemand hier? Wer ist denn da?" fragte er, noch bevor er den Lichtschalter gefunden hatte.

In diesem Beispiel steht das Plusquamperfekt im bevor-Satz, obwohl es hier nicht um das frühere Ereignis geht. Was im bevor-Satz steht, passiert nach dem, was im Hauptsatz steht.


Wie klingt das Plusquamperfekt im bevor-Satz in den Ohren eines Muttersprachlers?



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 02.07.23 11:29.

Milorad Gavrilovic schrieb:
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> Wie klingt das Plusquamperfekt im bevor-Satz in
> den Ohren eines Muttersprachlers?

Einfach falsch, wenn nicht auch dessen Matrixsatz im Plusquamperfekt steht, aber ich bin als Sprachwissenschaftler kein normaler Muttersprachler, sondern akademisch verbildet!

Ich könnte mir aber vorstellen, dass Feld-Wald-und-Wiesen-Deutschsprecher denken: „Hauptsache, da ist irgendwo ein Plusquamperfekt, wenn es unterschiedliche Zeitstufen in der Vergangenheit gibt.“



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 02.07.23 23:47.

Milorad Gavrilovic schrieb:

>
> 2. Beispiel: "Ist jemand hier? Wer ist denn da?"
> fragte er, noch bevor er den Lichtschalter
> gefunden hatte.
>
> In diesem Beispiel steht das Plusquamperfekt im
> bevor-Satz, obwohl es hier nicht um das frühere
> Ereignis geht. Was im bevor-Satz steht, passiert
> nach dem, was im Hauptsatz steht.
>
>
> Wie klingt das Plusquamperfekt im bevor-Satz in
> den Ohren eines Muttersprachlers?

Mir geht es da wie SimonPeters: Für mich klingt es richtig! Sämtlichen Erklärungen hier, warum es falsch ist, stimme ich absolut zu. Meine Vermutung ist, dass hier, zumindest in der Umgangssprache, das, was richtig ist und das, was Muttersprachler sagen, nicht immer übereinstimmen und man es deshalb nicht unbedingt sofort als falsch wahrnimmt.

Hallo Simon,

vielleicht war in deinem Beispielsatz das Plusquamperfekt für den Hauptsatz gedacht:

Wir waren alle unzufrieden gewesen, bevor wir den Urlaub mit unseren Kollegen und dem Chef abstimmten.

Schau mal hier: [www.deutschplus.net]