Hallo!

Ich glaube, es kommt oft vor, dass man in Süddeutschland etwas anders sagt als in Norddeutschland
z.B. in Süddeuschland die Weihnachten, in Norddeutschland (das) Weihnachten ohne Artikel.

Ich würde gerne wissen, was man eigentlich unter Süddeutschland versteht oder was unter Norddeutschland? Gibt es so etwas wie eine geopraphische Grenze?

Vielen Dank!

Maja

Jein, die gibt es (nicht). :)

Hmm... ein sehr komplexes Thema, zu dem es viel zu schreiben gibt.
Ich versuche mal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Zunächst einmal ist "das Deutsche" nicht so einheitlich, wie man vielleicht glaubt.
Es gibt zwar ein sog. "Standarddeutsch", das als Norm für das gesamte deutsche Sprachgebiet gilt (und das an sämtlichen Schulen als "das Deutsch" gelehrt wird), aber diese Norm gibts in dieser Form auch erst seit gut 100 Jahren.

Ich vermeide eigentlich, wenn's um Sprache geht, von "Süddeutschland" zu sprechen (auch, wenn mir das nicht immer gelingt) und ziehe den Ausdruck "süddeutsches Sprachgebiet" vor - denn dieser Begriff beinhaltet auch Österreich und die Schweiz, wo man bekanntlich auch deutsch spricht. ;)


So, das vorweg - jetzt muß ich etwas buddeln:
Das gesamte deutsche Sprachgebiet ist seit Anbeginn des "Deutschen" in zwei Teile gegliedert - nämlich in das
niederdeutsche Sprachgebiet mit den plattdeutschen Mundarten im Norden und das
hochdeutsche Sprachgebiet mit den mittel- und oberdeutschen Mundarten im Süden.

Das Niederdeutsche ist viel stärker verwandt mit dem Niederländischen und dem Englischen als mit dem Hochdeutschen.
Ein besonderes Merkmal des Hochdeutschen - oder besser: der hochdeutschen Dialekte ist die 2. Lautverschiebung: Die niederdeutschen (und auch niederländischen und englischen) Laute p; t; k erscheinen im Hochdeutschen als pf, ff; (t)z, ss; ch - so z.B.:
niederdt. Appel, niederl. appel, engl. apple ===> hochdt. "Apfel"
niederdt. Water, niederl. water, engl. water ===> hochdt. "Wasser"
niederdt. Kauken, niederl. koek, engl. cake ===> hochdt. "Kuchen"

(das kann man fast beliebig ausdehnen; es gibt etliche Beispiele)

Es gab/gibt natürlich nicht nur lautliche Unterschiede sondern auch grammatische oder semantische.


Die Grenze dieser beiden Regionen ("Benrather Linie) verläuft von West nach Ost ungefähr von Düsseldorf-Benrath über Kassel und Magdeburg bis nach Frankfurt/O.

Nach dem Zerfall der Hanse (großer Handelsbund im Norden) im 15. Jahrhundert verlor das Niederdeutsche an Einfluß, besonders als Schriftsprache und das Hochdeutsche wurde Schriftsprache im gesamten deutschen Sprachgebiet.
Die Menschen in Norddeutschland schrieben also "hochdeutsch", sprachen allerdings weiterhin ihre "niederdeutschen = plattdeutschen" Dialekte.
Bald darauf wurde "Hochdeutsch" auch an den Schulen im Norden gelehrt, Ende des 19. Jahrhunderts wurde für die hochdeutsche Sprache ein verbindlicher Standard durchgesetzt - nach diesem lehrte und lernte man nun im ganzen deutschen Sprachgebiet.
Dabei hatten es die Leute im süddeutschen Raum erheblich leichter: Sie sprachen bereits hochdeutsche Dialekte.
Die Menschen in Norddeutschland mußten das Hochdeutsche wie eine Fremdsprache ganz neu lernen und "Plattdeutsch" galt fortan als verpönt, als Sprache der Dummen.


Obwohl das Plattdeutsche heute nahezu ausgestorben ist und fast alle Menschen im Norden hochdeutsch sprechen, hat jede Region immer noch bestimmte mundartliche Einflüsse - es gibt also immer auch besondere Aussprachen oder Satzkonstruktionen oder eben Begriffe, die typischerweise in "hochdeutschen" Sprachgegenden und andere, die typischerweise in "niederdeutschen" Sprachgebieten auftreten.

Daher kann man auch heute noch sehr oft sagen, daß die eine oder andere Wendung "süddeutsch" ist oder ein anderer Begriff typisch "norddeutsch".

Ein besonders gutes Beispiel ist der Unterschied zwischen
"zu Hause" und "daheim":
Auch wenn beide Begriffe im gesamten deutschen Sprachgebiet verstanden werden, so bevorzugt der süddeutsche Raum in der gesprochenen Sprache:
"Ich bin daheim" - im Norden hört man dagegen meist "Ich bin zu Hause".
Daher heißt's im Süden auch "Ich fahre heim" bzw. "Ich bin auf dem Heimweg"
und im Norden: "Ich fahre nach Hause" bzw. "Ich bin auf dem Nachhauseweg".


Ich hoffe ich konnte ein wenig weiterhelfen ;)
Viele Grüße
-MrMagoo

Nach diesem wirklich beeindruckenden, anspruchsvollen Beitrag von meinem lieben Kollegen MrMagoo traue ich mich ja kaum noch, frech auf Majas Frage zu antworten: Ja, es gibt diese unsichtbare Grenze doch, sie heißt Weißwurstäquator und ist irgendwo bei Frankfurt oder so.
Ich, in Süddeutschland geboren und aufgewachsen, habe immer wieder erlebt, wie misstrauisch meine Mitmenschen allem gegenüber waren, was nördlich dieser geheimnisvollen Grenze angesiedelt war.
Wohl ein Grund, warum ich jetzt in Berlin lebe ...

F.

Der Weißwurstäquator ist übrigens der Main.

S.

Franziska schrieb:
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> Ich, in Süddeutschland geboren und aufgewachsen,
> habe immer wieder erlebt, wie misstrauisch meine
> Mitmenschen allem gegenüber waren, was nördlich
> dieser geheimnisvollen Grenze angesiedelt war.
> Wohl ein Grund, warum ich jetzt in Berlin lebe...


Du hast also allen Ernstes riskiert den Kontakt zu Deiner Familie abzubrechen und bist nach Berlin gezogen?! Wie mutig von Dir.
Konntest Du Deine Angehörigen denn mittlerweile davon überzeugen, daß im Norden auch "ganz normale" Menschen leben, oder haben sie seitdem nichts mehr von sich hören lassen... ;-)

M.

Grins ... ich meinte ja eigentlich eher meine nichtfamiliären Mitmenschen. Da meine Familie aus Berlin stammt - öh ...
Drum ist mein Schwäbisch auch nicht ganz waschecht ;-))

F.

Vielen Dank an alle!

Nach den so ausführlichen Erklärungen ist mir die Sache jetzt viel mehr klar.

Also so etwas wie zwei "Welten" in einem Staat.

Schöne Gruße

Maja