Guten Tag,

ich habe eine Frage an alle erfahrene Kollegen:

ich arbeite seit kurzem als Deutschlehrerin an einer Sprachenschule in Spanien. Die KT sind alle Erwachsene zwischen 20 und 60 Jahren alt. Da es bezüglich der Anrede viele soziokulturelle Unterschiede zwischen deutschsprachigen Ländern und Spanien gibt, hatte ich beschlossen, den Lernern immer mit "Sie" anzusprechen. Das kam mir einfach natürlicher vor, denn ich wurde immer in Deutschland von meinen Kollegen bzw. Deutschlehrern mit "Sie" angesprochen und außerdem habe ich als unangemessen empfunden, dass meine spanischen Freunden ihre deutschen Bekannten von Anfang an duzten.

Neulich aber kam ein (junger) muttersprachlicher Sprachassistent in den Unterricht und sprach den Lernern direkt mit "du" an, was sie wahrscheinlich irritiert hat.

Nun bin ich völlig verunsichert. Bin ich etwa altmodisch?
Ich wäre für jeden Tipp sehr dankbar!

Schöne Grüße,
Isabel

Guten Tag Isabel,


ich bin offen altmodisch und sieze alle, die älter als 15/16 Jahre sind. Ich habe die ungebeten distanzlose Duzerei immer als unangenehm empfunden.

In einem Kurs mit erwachsenen Lernern mache ich das Duzen und Siezen zum Thema. Ich erkläre meinen Lernern, warum ich sie sieze und beschreibe Situationen, in denen das Du angemessen ist.


Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker

Isabel Melado schrieb:
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> Guten Tag,
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> ich habe eine Frage an alle erfahrene Kollegen:
>
> ich arbeite seit kurzem als Deutschlehrerin an
> einer Sprachenschule in Spanien. Die KT sind alle
> Erwachsene zwischen 20 und 60 Jahren alt. Da es
> bezüglich der Anrede viele soziokulturelle
> Unterschiede zwischen deutschsprachigen Ländern
> und Spanien gibt, hatte ich beschlossen, den
> Lernern immer mit "Sie" anzusprechen. Das kam mir
> einfach natürlicher vor, denn ich wurde immer in
> Deutschland von meinen Kollegen bzw.
> Deutschlehrern mit "Sie" angesprochen und außerdem
> habe ich als unangemessen empfunden, dass meine
> spanischen Freunden ihre deutschen Bekannten von
> Anfang an duzten.
>
> Neulich aber kam ein (junger) muttersprachlicher
> Sprachassistent in den Unterricht und sprach den
> Lernern direkt mit "du" an, was sie wahrscheinlich
> irritiert hat.
>
> Nun bin ich völlig verunsichert. Bin ich etwa
> altmodisch?
> Ich wäre für jeden Tipp sehr dankbar!
>
> Schöne Grüße,
> Isabel




Ich habe immer das 'Sie' verwendet.

Gründe:

1) Die Lernenden mussten sich u. a. an Bewerbungsgespräche gewöhnen; viele glaubten, das 'Du' sei korrekt ...

2) Die Lernenden wurden vom Arbeitsamt zugewiesen; es bestand ein Weisungsrecht des Lehrenden (bis zum Verweis).

3) Viele Lernende waren dunkler Hautfarbe und wurden am Arbeitsplatz, von der Polizei oder von Busfahrern permanent geduzt; diesem Rassismus musste durch respektvolle Anrede entgegengewirkt werden.

Ich muss beifügen, dass diese Gründe meinen Kollegen nicht einleuchteten; es herrschte eine fröhliche Duzerei, und die Verwirrung bei den Lernenden war komplett.

Ich beginne eine Klasse (angehende Studenten um die zwanzig) in der A1 grundsätzlich mit "Sie" und korrigiere auch alle anfänglichen "Fehler" sehr strikt - bis der Unterschied zwischen Sie und du klar ist. Dann gehe ich im Laufe der Grundstufe durchaus feierlich zum Du über, was ich bei einem Intensivkurs über viele Monate hinweg einfach als natürlicher empfinde. Immerhin verbringen wir jeden Tag viele Stunden miteinander und viele auch persönliche Themen werden angeschnitten. Von meinen Kollegen / Kolleginnen siezt nur eine ihre Klasse, alle anderen duzen. Kollegen / Kolleginnen und alle im Büro duzen sich, einschließlich Chef. Gehe ich mal vertretungsweise in eine andere Klasse, duze ich auf Anhieb und alle finden es normal.
Ich denke, es hängt also von der Atmosphäre im Institut ab und vom Hintergrund der Lerner, wobei mir die Argumente von Herrn Oberhänsli völlig einleuchten. Man kann hier also keine feste Regel aufstellen.

Vielen Dank für die guten Ratschläge!:-)

Danke Nina!

das ist genau, was ich mit dem Siezen innerhalb (hoffe ich mal) einer lockeren Kursatmosphäre zu zeigen versuche; und zwar, dass das Siezen in deutschsprachigen Ländern eben geläufiger als in Spanien ist. Auf Spanisch wäre das nämlich nicht möglich.

Schönen Gruß,
Isabel.

@nina und Isabel:

Das mit "du" und "Sie" ist für viele Schüler nun gar nicht leicht. Ich meine nicht nur von wegen der Atmosphäre und so.

Es ist für einen Deutschanfänger auch grammatisch und strukturell schwierig, den Unterschied zwischen "du" und "Sie" richtig ins aktive Repertoire aufzunehmen. Da stecken auch neurolinguistische Schwierigkeiten dahinter, das ist nicht nur interkulturell und so.

Und obwohl das also alles ohnehin schon schwierig ist, schlägt Nina den "dritten Weg" vor. Sie verwendet eine Mischung aus der formellen und informellen Anrede. (Vorname + Sie)

Strukturell wird so das ganze Thema noch komplizierter. Ich würde es daher nicht so machen. Nur wer in Deutschland mal zur Schule gehen sollte, würde Ninas dritten Weg antreffen. Für alle anderen Lernenden ist Ninas Weg schlicht und einfach als falsch zu erachten.

Ich würde es bei einer einfachen Entscheidung zwischen "du" und "Sie" belassen, ohne komplexere Mischformen einzuüben.

Ich sehe die Kombination aus Vornamen + Sie übrigens nicht als "komplexe Mischform" an.

Ich auch nicht. Und so ungewöhnlich ist diese Art der Anrede nun auch nicht, dass sie für Lerner außerhalb des Unterrichts unnütz wäre.

Ich finde es ebenfalls wichtig, im Unterricht keine zu formelle Atmosphäre zu haben und halte Vornamen + Sie für einen netten Kompromiss.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 23.03.10 19:52.

Das einzige Ambiente in Deutschland mit Vorname + Sie ist meines Wissens an den Schulen, aber da wird das dann nur einseitig verwendet.

Also der Schüler verwendet Familienname + Sie für den Lehrer und der Lehrer verwendet ab einem bestimmten Alter Vorname + Sie.

Also ich finde das eher komisch.

Hallo Tomas,

das wird durchaus auch in Büros bzw. Firmen immer üblicher.

Grüße

Guten Morgen,

das Hamburger-Sie gegen das Münchener-Du oder doch das Berliner-Er?

Der Trend geht angeblich zum Duzen, dem müssen wir aber nicht folgen.

Haben Sie einen guten Tag

Michael Redeker

Zitat
Redeker: das Hamburger-Sie gegen das Münchener-Du oder doch das Berliner-Er? Der Trend geht angeblich zum Duzen, dem müssen wir aber nicht folgen.

...aber wir können und dürfen! ;)

Und wollen!

;-)

Genau! ;)

Hallo!

Abgesehen davon, dass jedes Land seine eigenen Gewohnheiten hat, und jeder, der in ein fremdes Land fährt, um sich dort für längere Zeit aufzuhalten, sich an dortige Verhaltensweisen anzupassen hat, halte ich für angebracht, dass man mit den Betroffenen jeweils vereinbart, wie sie angesprochen werden wollen. Eine Uniformierung finde ich überholt. Mich erinnert sie an Kommunismus, an das Streben nach absoluter Gleichheit.
Auch ein Sprachlerner, sogar ein Schüler hat das Recht, diesbezüglich seinen Wunsch zu äußern.
Bei gewissen Würdenträgern muss man sich an die Etikette halten. Wenn man unsicher ist, ist es absolut normal zu fragen, wie man ihn ansprechen darf, aber auch in ganz gewöhnlichen Situationen fühlt man sich geehrt, wenn einem diese Frage gestellt wird. Und meiner Meinung nach wird eine Höflichkeit immer mit der Höflichkeit erwidert.

Mit freundlichen Grüßen
Charlotte

Anna2

ich verstehe sie nicht:

Was wird in Büros immer üblicher? Die Angestellten siezen den Chef und der Chef lässt sich nur auf eine herablassende, schulisch verstaubte Mischform herab ("Sie" + Vorname)?

Das wäre ja unerhört.

Ich folge ein bisschen dem Oberhaenslir und meine, dass man mit dem Siezen dem Gegenüber ein Stück Würde und Anerkennung verleiht, das gerade in den modernen Zeiten des Turbo- und Wegwerfkapitalismus durchaus seine guten und emanzipatorischen Aspekte aufweist.

Tomas schrieb:
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> Anna2
>
> ich verstehe sie nicht:
>
> Was wird in Büros immer üblicher? Die Angestellten
> siezen den Chef und der Chef lässt sich nur auf
> eine herablassende, schulisch verstaubte Mischform
> herab ("Sie" + Vorname)?
>
> Das wäre ja unerhört.

Das wäre es tatsächlich. So meinte ich das auch nicht und habe es so auch nicht gesagt. Man sollte sich da schon beidseitig einig sein. In eine Richtung siezen und in die andere duzen, hielte ich schon für sehr merkwürdig und ja, irgendwie herablassend. Dass die "Mischform", wie du sie nennst "schulisch verstaubt" ist, ist eine etwas komische Auffassung. In meinem Wortschatz bedeutet "verstaubt" altmodisch, also eher das Gegenteil einer neuen Entwicklung.

Ich unterrichte viel in deutschen Firmen Englisch und habe diese "Mischform" inzwischen häufig angetroffen. Mein Eindruck ist, dass man, wenn man längere Zeit zusammenarbeitet, von der sehr formellen Anrede Frau bzw. Herr ... + Sie ein bisschen abrückt und sich mit Vornamen anspricht, ohne aber auf das respektvolle und eben auch formellere "Sie" verzichten zu wollen.

Ansonsten stimme ich Charlotte zu. Ungefragt Erwachsene zu duzen geht, auch im Sprachunterricht, meiner Meinung nach nicht. Aus Respekt nicht und auch deshalb nicht, weil man ja dann den Eindruck vermittelt, dass es in Deutschland in Ordnung ist, einfach so jeden zu duzen - und das ist es natürlich nicht. Ich habe es erst neulich miterlebt, wie sich eine Mitarbeiterin in einer Firma sehr darüber aufgeregt hat, dass der neue Chef gleich in der ersten Besprechung alle geduzt hat und auch selbst geduzt werden wollte. Sie hat ihn dann in Absprache mit ihren Kollegen (die das auch eher irritierend fanden) einfach darauf angesprochen und er hat dann wohl auch eingesehen, dass er ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen war. Auch da hat man sich am Ende auf die "Mischform" geeinigt, womit beide Seiten leben können.

Ich folge ein bisschen dem Oberhaenslir und meine, dass man mit dem Siezen dem Gegenüber ein Stück Würde und Anerkennung verleiht, das gerade in den modernen Zeiten des Turbo- und Wegwerfkapitalismus durchaus seine guten und emanzipatorischen Aspekte aufweist.

Gegen das Siezen ist doch auch gar keiner. Im Gegenteil!



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.03.10 13:22.

Empfehlung:

Robert Leicht
"Distanz muss sein"

In: Die ZEIT.13.2010
[www.zeit.de]

C.T.