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anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 10:24

Hallo,

im Rahmen einer anderen Diskussion bin ich jetzt auf Belege gestoßen, die nicht nur besagen, dass die Deutschen den Unterschied zwischen -anscheinend- und -scheinbar- größtenteils nicht beachten, sondern auch, dass es diese Differenzierung erst seit historisch kurzer Zeit gibt und dass sie sich vermutlich nie durchgesetzt hatte.

Vielleicht ist das ja auch hier und für euch interessant.

jero
www.cafe-deutsch.de

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 10:26

Beleg 1:

Zitat

Beide Worte klingen sehr ähnlich und in unserer Alltagssprache verwechseln wir sie gerne. Die Differenzierung zwischen scheinbar und anscheinend existiert auch erst seit dem 18. Jahrhundert, während die etymologischen Wurzeln sehr weit zurückgehen und sich ähneln.

[wortfeiler.blogspot.com]

jero
www.cafe-deutsch.de

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 10:28

Beleg 2:

Zitat

Am Wed, 10 Jun 2009 23:37:23 +0200 schrieb Ralf Heinrich Arning:

[anscheinend <-> scheinbar]

Laut Zweifelsfallduden ist die Unterscheidung jung und stammt erst aus dem 18. Jh. Selbst im 19. Jahrhundert wurde noch nicht überall zwischen "scheinbar" und "anscheinend" unterschieden. So heißt es in Sanders "Handwörterbuch der deutschen Sprache" von 1878:

"A[nscheinen]d = dem Anschein nach; scheinbar (anscheinlich)."

"[Schein]bar, a: 1) dem nicht., od. wenigstens möglicherweise nicht, mit
der Wirklichk. übereinstimmenden Anschein nach beurtheilt, anscheinend (s.
Schein 5). - 2) zuw. noch: a) (s. c; 1) vielen Schein des Wahren für sich
habend, wahrscheinl.: Sch-keit. - b) sichtbar hervortretend. - c) (s. d.)
durch äußerl. schönes Aussehn in die Augen fallend (Ggstz. un-sch. - d)
(vralt.) glänzend, prächtig, schön, vortreffl."

Gruß
Manfred.
[Hervorhebung von mir]


[meinews.niuz.biz];

jero
www.cafe-deutsch.de



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 10:29.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 10:33

Meine Schlussfolgerung ist:

Heutzutage kehren beide Wörter anscheinend in den Zustand der "Gleichbedeutung" zurück. Möglicherweise hatte sich die Differenzierung, die erst im 18. Jahrhundert begann, nie wirklich durchgesetzt und hat lediglich "akademische Wurzeln", während die Sprachmehrheit immer bei der älteren "Gleichbedeutung" geblieben ist.

Die Nicht-Differenzierung von "scheinbar" und "anscheinend" ist also der ältere, längere, praxisnähere Sprachgebrauch.

jero
www.cafe-deutsch.de



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 10:38.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redeker, Bangkok ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:16

Guten Morgen jero,

anscheinend flackert dieses Wortpaar immer mal wieder im Forum auf.

Ich sehe in den Verweisen keinen Erkenntnisgewinn. Die Feststellung, dass die Differenzierung seit dem 18. Jh. beobachtet wird, ist längst im Duden 9 "Richtiges und gutes Deutsch" vermerkt. Der Verweis auf "die Sprachmehrheit" ist m. E. kein schlagendes Argument. Dasselbe ist vielen das Gleiche, als oder wie wird währenddem/währenddessen und in diesen Tagen/heutzutage auch im Fernseher/Fernsehen verwechselt usw.

Sprachwandel happens.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redaktion ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:18

jero schrieb:
-------------------------------------------------------
> Beleg 2:
>
> Am Wed, 10 Jun 2009 23:37:23 +0200 schrieb Ralf
> Heinrich Arning:
>
>
>
> Laut Zweifelsfallduden ist die Unterscheidung jung
> und stammt erst aus dem 18. Jh.
>
>

Interessantes Thema!

Steht im Duden da tatsächlich "jung"? Oder ist das nur eine Folgerung des Schreibers? Mir kommt sprachhistorisch gesehen zumindest in Bezug auf die deutsche Sprache das 18 Jh. durchaus nicht jung vor.

Die andere Frage, die sich mir stellt: Wenn erst ab dem 18. Jh. zwischen den beiden Begriffen unterschieden wurde, wie war das dann vorher? Wurden beide wirklich gleich gebraucht, in synonymen Kontexten? Oder wurde nur einer der beiden Begriffe verwendet und den anderen gab es gar nicht oder seine Verwendung war deutlich seltener?

Ich habe auch nicht den Eindruck (rein subjektiv), dass die Unterscheidung heute akademisch wäre, sondern einfach mit der Vetratuheit des Sprechers mit Sprache zusammenhängt, ob er sie bewusst einsetzt resp. einsetzen muss resp. gewohnt ist in seinem Alltag. Das korreliert bei Geiteswissenschaftlern sicherlich, bei Naturwissenschaftlern sieht das womöglich schon anders aus, dito bei Nicht-Akademikern, die einen Beruf (oder ein Hobby) mit höherer "Sprachdichte" haben als solche ohne.

Ein anderes Beispiel, wo es bei vielen Muttersprachlern Verwechselungen gibt, wäre ja die Unterscheidung zwischen "als" und "wie". (Wobei hier aus dem Kontext heraus zumindest immer klar ist, was gemeint ist, was bei "anscheinend" und "scheinbar" durchaus nicht immer gegeben ist und auch zu Missvertsändnissen führen kann).

Und zumindest im Internet kann man eine zunehmende Nicht-Unterscheidung zwischen "seid" und "seit" sowie zwischen "Standard" und Standart" bemerken :-) (tja, die Nachteile der Auslautverhärtung ;-)). Wobei die Frage ist, ob das schon immer so war und nur im Internet, wo jede/r öffemtlich schreiben kann, eher sichtbar ist als früher.

Jürgen

Online-Redaktion deutsch-als-fremdsprache.de
[www.iik-duesseldorf.de]

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:31

Redeker, Bangkok schrieb:
-------------------------------------------------------
> Guten Morgen jero,
>
> anscheinend flackert dieses Wortpaar immer mal
> wieder im Forum auf.
>
> Ich sehe in den Verweisen keinen Erkenntnisgewinn.
> Die Feststellung, dass die Differenzierung seit
> dem 18. Jh. beobachtet wird, ist längst im Duden 9
> "Richtiges und gutes Deutsch" vermerkt. Der
> Verweis auf "die Sprachmehrheit" ist m. E. kein
> schlagendes Argument. Dasselbe ist vielen das
> Gleiche, als oder wie wird
> währenddem/währenddessen und in diesen
> Tagen/heutzutage auch im Fernseher/Fernsehen
> verwechselt usw.
>
> Sprachwandel happens.
>
> Mit freundlichen Grüßen


... Naja, Michael, du kennst mich (noch). Ich halte es immer lieber mit dem realen Sprachgebrauch. Realer Sprachgebrauch ist für mich das, was tatsächlich mehrheitlich so im Gebrauch ist. Wenn die Mehrheit nicht (nicht mehr oder ggf. noch nie) zwischen "anscheinend" und "scheinbar" unterscheidet/unterschied, macht es für mich keinen Sinn, noch darauf zu bestehen.

In den Diskussionen dazu wird dieser Umstand (Differenzierung erst seit 18. Jahrhundert) meist unterschlagen. Das ist anscheinend/scheinbar auch nicht gar nicht bekannt. Ich habe lange danach suchen müssen. Insofern fand ich das mal erwähnenswert. Die, die die Unterscheidung nicht "mitmachen", werden ja oft eines "falschen Deutsch'" (mitunter eines "geringen Bildungsstandes") bezichtigt. Sie vertreten aber mindestens einen älteren "Sprachstand", womöglich jedoch sogar den immer schon mehrheitlichen Gebrauch.

jero
www.cafe-deutsch.de



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 11:36.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redeker, Bangkok ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:37

Guten Morgen Jürgen und jero (nach langer Zeit),

im Duden 9 steht "Die Unterscheidung (...) ist relativ jung, sie wurden erst im 18. Jh. gegeneinander abgegrenzt und differenziert."

Relativ.

Mein mhd. "Kleiner Lexer" verzeichnet "anschin adj. augenscheinlich, deutlich, offenbar" und "schinbaere, -baerec adj. adv. in die augen fallend, leuchtend, glänzend, prächtig; sichtbar, deutlich, vor augen, offenkundig" (ohne Längen, Kleinschreibung ebd.).

Ich differenziere und korrigiere meine Schüler und Schülerinnen nach wie vor, ich erwähne aber auch (möglichst neutral lächelnd) den Alltagssprachgebrauch.


Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 11:40.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redaktion ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:42

jero schrieb:
-------------------------------------------------------
> Ich
> halte es immer lieber mit dem realen
> Sprachgebrauch. Realer Sprachgebrauch ist für mich
> das, was tatsächlich mehrheitlich so im Gebrauch
> ist. Wenn die Mehrheit nicht (nicht mehr oder ggf.
> noch nie) zwischen "anscheinend" und "scheinbar"
> unterscheidet/unterschied, macht es für mich
> keinen Sinn, noch darauf zu bestehen.

und mit welcher Bedeutung versieht die (angebliche) Mehrheit denn dann diese beiden Wörter, wenn sie sie nicht unterscheidet? (Und welche Bedeutung hatten die beiden Wörter vor dem 18. Jh.?) Und wie geht sie mit etwaigen Missverständnissen dabei um?

Jürgen

Online-Redaktion deutsch-als-fremdsprache.de
[www.iik-duesseldorf.de]

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:43

Zitat

Ich habe auch nicht den Eindruck (rein subjektiv), dass die Unterscheidung heute akademisch wäre, sondern einfach mit der Vetratuheit des Sprechers mit Sprache zusammenhängt, ob er sie bewusst einsetzt resp. einsetzen muss resp. gewohnt ist in seinem Alltag. Das korreliert bei Geiteswissenschaftlern sicherlich, bei Naturwissenschaftlern sieht das womöglich schon anders aus, dito bei Nicht-Akademikern, die einen Beruf (oder ein Hobby) mit höherer "Sprachdichte" haben als solche ohne.

@ Jürgen, mit "akademisch" meine ich eigentlich nur, dass eine kleine "Bildungselite" (oder die sich dafür hält), versucht, der Mehrheit etwas aufzudrücken. Es scheint ja doch so zu sein, dass die Mehrheit nie diese Differenzierung zwischen "scheinbar" und "anscheinend" mittrug.

jero
www.cafe-deutsch.de

PS: "Standard" habe ich ehrlich gesagt auch lange Zeit falsch geschrieben. :-) Ich habe mir erst vor wenigen Jahren endlich gemerkt, dass man am Ende kein -t- schreibt.

PS2: -als wie- beobachte ich interessiert. Es scheint mir noch nicht mehrheitlich die Differenzierung zwischen -als- und -wie- ersetzt zu haben. Sollte das irgendwann mal so sein, wäre ich auch dafür, es zu akzeptieren.

PS3: Was Rechtschreibung anbelangt (seid/seit), akzeptiere ich eher eine Festlegung. Das ist ja nichts, was sich "von innen heraus" entwickelt, sondern was "von außen" bestimmt worden ist (siehe auch "Lied/Lid", "Wahl, Wal" usw.) Das kann sein, muss aber nicht. Ich meine, Rechtschreibung legen die Menschen selbst fest; Grammatik aber entwickelt sich von alleine und das muss man akzeptieren.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:49

Zitat

und mit welcher Bedeutung versieht die (angebliche) Mehrheit denn dann diese beiden Wörter, wenn sie sie nicht unterscheidet? (Und welche Bedeutung hatten die beiden Wörter vor dem 18. Jh.?) Und wie geht sie mit etwaigen Missverständnissen dabei um?

@ Jürgen,

ich selbst unterscheide sie nicht. Für mich haben sie einfach die gleiche Bedeutung. Es fällt mir ehrlich gesagt sehr schwer, mich überhaupt in den Unterschied hineinzudenken. Ich lese das immer wieder und vergesse es sofort. Für mich existiert er gar nicht.

Beides bedeutet für mich sowas wie "sieht / wirkt / scheint so (aus), als ob ..., aber ist nicht garantiert, dass tatsächlich ...". In welchem Beispiel würde das nicht passen?

Wie das vor dem 18. Jahrhundert war, kann ich dir nicht sagen. Ich habe dazu keine Belege (vielleicht so wie für mich?).

jero
www.cafe-deutsch.de



4-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 11:54.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:56

Beitrag vorher wesentlich überarbeitet. :-)

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redeker, Bangkok ()
Datum: 12. Oktober 2011 11:57

Guten Morgen zusammen,

endelich (mhd.) mal wieder eine Diskussion über Sprache. Mit dem Verweis auf die Mehrheit ist das so eine Sache. Ich kenne viele Leute, die den Gebrauch von anscheinend/scheinbar achtsam bemerken (und das sind nicht nur normalerweise gut gebildete Greise). Aber es ist wohl tatsächlich so, dass Sprachgebrauch, die Kenntnis und Anwendung von Normen (bis hin zur Dialektfärbung) mit Herkunft, Bildung und (darf ich das i-Wort unbeschadet benutzen) Intelligenz zu tun haben. Und wir dann danach eingeschätzt werden.


Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redaktion ()
Datum: 12. Oktober 2011 12:34

jero schrieb:
-------------------------------------------------------
>
> Beides bedeutet für mich sowas wie "sieht / wirkt
> / scheint so (aus), als ob ..., aber ist nicht
> garantiert, dass tatsächlich ...". In welchem
> Beispiel würde das nicht passen?

Das ist sozusagen die Obermenge der beiden Begriffe: es geht darum, wie etwas aussieht, erscheint. Der Unterschied liegt darin, wie der Sachverhalt "hinter dem äußeren Schein" denn tatsächlich ist.

Bei "scheinbar" ist klar, dass es "nur so aussieht, als ob", es tatsächlich aber nicht den Tatsachen entspricht ("die Zeit steht scheinbar still", "die Sonne dreht sich scheinbar um die Erde").

Bei "anscheinend" äußert man eine Vermutung, dass "allem Anschein nach" die Dinge tatsächlich so sind, wie sie scheinen. "Die Straße ist nass, anscheind hat es vorhin geregnet".

Hingegen: "Die Sonne dreht sich anscheinend um die Erde" kann man nur sagen, wenn man in Physik nicht weiter bewandert ist und nicht weiß, wie das Sonnensystem strukturiert ist.

Solange alle Beteiligten davon ausgehen, dass der Sprecher mit scheinbar/anscheinend nichts über die wirklichen Dinge aussagen will, sondern nur, wie sie aussehen, ist das kein Problem. Sobald aber jemand darunter auch eine Aussage über den (vermuteten) Wahrheitsgehalt versteht, gibt es Missverständnisse. Das gilt natürlich überall, wo unterschiedliche Sprachpräzisionen aufeinandertreffen (und auch nicht jeder, der sich präziser ausdrücken könnte, macht das immer, sondern redet auch mal einfach so daher, weil es weniger Anstrengung und Aufmerksamkeit beansprucht. Je nach Kontext reicht das ja auch.).

Jürgen

Online-Redaktion deutsch-als-fremdsprache.de
[www.iik-duesseldorf.de]

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 13:18

Zitat

Aber es ist wohl tatsächlich so, dass Sprachgebrauch, die Kenntnis und Anwendung von Normen (bis hin zur Dialektfärbung) mit Herkunft, Bildung und (darf ich das i-Wort unbeschadet benutzen) Intelligenz zu tun haben. Und wir dann danach eingeschätzt werden.

... vermutlich bekommt das Ganze hier auch eine gesellschaftliche, außersprachliche Dimension. Wer ist denn die sogenannte Intelligenz? Sind das die Akademiker? Alle, die studiert haben? (Dat heww ick jo ok!) Gerade diese "Intelligenz" spricht doch heutzutage vielfach ein Mischmasch aus Deutsch und Englisch und weiß oft gar nicht mehr anders, wenn man nachhakt. Das ist für mich schon eher ein Zeichen von verloren gegangener Sprachkompetenz. (Zugespitzt: Wie kann Vorbild sein, wer Deutsch gar nicht mehr beherrscht?)

Ich halte es da immer noch lieber mit Luther, der dazu riet, "dem Volk aufs Maul zu schauen". Und seine Bibel-Übersetzung wurde doch dann maßgebend für die einheitliche deutsche Nationalsprache.

jero
www.cafe-deutsch.de



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 13:19.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 13:27

Zitat

Bei "scheinbar" ist klar, dass es "nur so aussieht, als ob", es tatsächlich aber nicht den Tatsachen entspricht ("die Zeit steht scheinbar still", "die Sonne dreht sich scheinbar um die Erde").

Bei "anscheinend" äußert man eine Vermutung, dass "allem Anschein nach" die Dinge tatsächlich so sind, wie sie scheinen. "Die Straße ist nass, anscheind hat es vorhin geregnet".

Hingegen: "Die Sonne dreht sich anscheinend um die Erde" kann man nur sagen, wenn man in Physik nicht weiter bewandert ist und nicht weiß, wie das Sonnensystem strukturiert ist.

Weißt du, das "fühle" ich eben nicht.

Wenn ich sage, dass sich die Sonne anscheinend um die Erde dreht, dann bedeutet es für mich auch nur: Es sieht so aus, als ob sich die Sonne um die Erde drehe (ist aber gar nicht so).

-scheinbar- und -anscheinend- ist für mich "hat den Anschein". Ob es tatsächlich so ist, ist schon eine andere Frage. Wenn man z.B. formuliert ...

(1) Er hat das scheinbar nicht verstanden.

(2) Er hat das anscheinend nicht verstanden.

... dann fällt es mir sehr schwer, hier einen Unterschied "hineinzudenken". Für mich bedeutet beides, dass es den Anschein hat, dass er es nicht verstanden hat. Verstehe ich richtig, dass (1) für euch bedeutet, er hat es in Wirklichkeit doch verstanden?

jero
www.cafe-deutsch.de

PS: Die frühere offizielle "Gleichbedeutung" von -scheinbar- und -anscheinend-, Jürgen, zeigt meiner Meinung nach der Verweis von 1878 (siehe oben).



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.10.11 13:29.

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redaktion ()
Datum: 12. Oktober 2011 16:39

jero schrieb:
-------------------------------------------------------
> -scheinbar- und -anscheinend- ist für mich "hat
> den Anschein". Ob es tatsächlich so ist, ist schon
> eine andere Frage. Wenn man z.B. formuliert ...
>
> (1) Er hat das scheinbar nicht verstanden.
>
> (2) Er hat das anscheinend nicht verstanden.
>
> ... dann fällt es mir sehr schwer, hier einen
> Unterschied "hineinzudenken". Für mich bedeutet
> beides, dass es den Anschein hat, dass er es nicht
> verstanden hat. Verstehe ich richtig, dass (1) für
> euch bedeutet, er hat es in Wirklichkeit doch
> verstanden?

Für mich wäre der erste Gedanke, dass der Sprecher von [1] halt den Unterschied nicht kennt. Wenn es mir wirklich um das scheinbare Nicht-Verstehen ginge, würde ich so etwas sagen wie:

(3) Er hat das nur scheinbar nicht verstanden.
(d.h. er stellt sich gezielt dümmer als er ist und wirkt damit hinreichend überzeugend)

Ich frage mich aber gerade, warum ich das "nur" einfügen würde. Vielleicht will ich mit dem "nur" schon kompensieren, dass viele den Unterschied nicht kennen. Ich muss aber zugeben, dass ich selber ohne das "nur" auch davon ausgehen würde, dass er "es" vermutlich wirklich nicht verstanden hat.

Ein
(4) Er hat das nur anscheinend nicht verstanden.
aber geht jedenfalls gar nicht.

> PS: Die frühere offizielle "Gleichbedeutung" von
> -scheinbar- und -anscheinend-, Jürgen, zeigt
> meiner Meinung nach der Verweis von 1878 (siehe
> oben).

Hm. Teilweise. Denn in
"[Schein]bar, a: 1) dem nicht., od. wenigstens möglicherweise nicht, mit
der Wirklichk. übereinstimmenden Anschein nach beurtheilt, anscheinend (s. Schein 5)."
wird ja explizit das "nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen" betont.
Bei "A[nscheinen]d = dem Anschein nach; scheinbar (anscheinlich)." scheint es mir dann wiederum eher um den "Oberbegriff" zu gehen, wo die Wirklichkeit keine Rolle spielt (deshalb ist "scheinbar" dort sozusagen subsumiert)?
So recht überzeugt mich das jedenfalls nicht... zumal die Frage der Frequenz der beiden Wörter da ja nicht angesprochen wird. Wenn eigentlich eh jeder immer nur "anscheinend" sagte, und so gut wie niemand "scheinbar" benutzte, stellt sich eine etwaige Gleichbedeutung schon in einem anderen Licht dar.

Jürgen

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: Redeker, Bangkok ()
Datum: 12. Oktober 2011 17:03

Guen Tag Jero,

um den Faden wieder aufzunehmen, unter "Intelligenz" habe ich nicht eine Bevölkerungsgruppe G`Studierter oder Akademiker verstanden, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal, das nicht in akademischen Zertifikaten gemessen werden braucht. (Es gibt doch genügend Dummbeutel mit schillernden Titeln.;))

Aber: Sprachkompetenz.

Zitat

(Zugespitzt: Wie kann Vorbild sein, wer Deutsch gar nicht mehr beherrscht?)

Gehört da da nicht dazu (DaDa?), dass gerade solche scheinbaren Feinheiten verstanden werden? Kann nicht etwa ein politischer Journalist mit diesen präzisen Differenzierungen Aussagen über den anscheinend vermuteten oder den scheinbaren, nur behaupteten Wahrheitsgehalt von Politsprech machen? Wie denn auch mit dem genauen Gebrauch des Konjunktivs I (der Redewiedergabe) und des Konjunktivs II (Irrealis) spielerische Ironie erreicht werden kann? (Hier spiele ich scheinbar zufallend das zweite deiner Lieblingsthemen ein: wäre das nicht ein Verlust an Ausdrucksmöglichkeiten, würde man da den Vereinfachungen einer/der (welcher?) Mehrheit folgen? Denkst du da an RTL2 oder BILD?)


Fragen über Fragen. "Dem Volk aufs Maul schauen" sagt sich so einfach, schließt das aber nicht schon eine abwertende Einteilung (Ihr seit das Volk!) ein? Und, Vorsicht! Manche, denen man zu genau ins Gesicht schaut, fragen dann "Kuckstn?" und haun auch gleich zu.


Mit freundlichen Grüßen

Michael Redeker

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 23:12

Zitat
Jürgen
So recht überzeugt mich das jedenfalls nicht... zumal die Frage der Frequenz der beiden Wörter da ja nicht angesprochen wird. Wenn eigentlich eh jeder immer nur "anscheinend" sagte, und so gut wie niemand "scheinbar" benutzte, stellt sich eine etwaige Gleichbedeutung schon in einem anderen Licht dar.

Aber woraus schließt du das? Ich habe das dort weder gelesen noch geschlussfolgert.

???

jero
www.cafe-deutsch.de

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Re: anscheinend - scheinbar
geschrieben von: jero ()
Datum: 12. Oktober 2011 23:24

@ Michael,

es ist eine interessante Frage, WER denn die Mehrheit repräsentiert, wer also Maßstab sein soll für die Norm und u.U. für neue Normen. Und wer gehört zur Mehrheit, wollte man den mehrheitlichen Sprachgebrauch zur Grundlage nehmen? Auch die, die Deutsch fehlerhaft sprechen? (Wobei einige dieser Fehler ja auch schon wieder eine neue Norm darstellen können.) Michael, ich weiß darauf auch keine klare Antwort im Moment.

Und ist realer Sprachgebrauch auch intelligenter Sprachgebrauch, ich meine, muss er das überhaupt sein? Also wessen Deutsch ist das beste Deutsch und wessen Deutsch soll norm-orientierend sein? Das der oberen Zehntausend? Oder das der im ersten Absatz bereits hinterfragten "Mehrheit"? Oder das einer Kommission, die darüber befindet, was richtig ist und was falsch?

Ich sehe das alles eher "fließend", ohne scharfe Grenzen, die Theorie vom Zentrum und der Peripherie (Prager Schule). Aber der reale Sprachgebrauch ist für mich doch das Kriterium Nr. 1.

jero
www.cafe-deutsch.de

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